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Intervalle von zehn bis elf Jahren wieder vorgenommen und mit dieser erschöpfenden Ausführung neu bearbeitet habe. Chls. Knight führt zur Beantwortung dieser Frage eine Stelle aus Hallam's Werk über die Litteratur Europa's an:

,,Es scheint", so schreibt dieser,,,als habe es in Shakspere's Leben. einen Abschnitt gegeben, in dem es ihm übel um's Herz und dieses mit der Welt und seinem eigenen Gewissen nicht wohl zufrieden war: die Erinnerung an schlecht verwendete Stunden, der Druck einer migleiteten oder unerwiederten Neigung, Erfahrungen von der niedrigeren Natur des Menschen, von der uns der Umgang mit, durch Wahl oder Umstände, übelgewählten Genossen gewöhnlich belehrt, dieß Alles, da es in die Tiefe seines großen Gemüthes eindrang, scheint dasselbe nicht nur zu der Idee von Lear und Timon, sondern auch zu diesem ursprünglichen Charakterbilde, dem Tadler des Menschengeschlechtes, begeistert zu haben“.

Diese Auffassung der Stimmungen, welche Shakspere durchwandelt und überwunden haben mußte, um zu den großen Schöpfungen des Lear und Timon, sowie der zweiten Bearbeitung des Hamlet zu gelangen, ist gewiß zu edel und streift zu nahe an die Wahrheit, als daß sie obenhin betrachtet und gleichgültig abgewieseu werden dürfte. Aber nicht allein, daß sie Shakspere's Empfindungen und Stimmungen in allzuenge Grenzen verweist, sie lehnt sich auch sichtlich an Ueberlieferungen an, welche an sich selbst unverbürgt sind, und wenn sie auch einiger Maßen begründet wären, mit den genannten Schöpfungen kaum in Verbindung gebracht werden können. Daß Shakspere's Seele von mannichfachen schmerzlichen Empfindungen bewegt worden, können wir allerdings aus seinen Sonnetten lernen. Auch enthalten dieselben hinlängliche Andeutungen, um auf einzelne bestimmte Begebenheiten und Veranlassungen zu solchen Gemüthsbewegungen zu schließen. Es ist ferner zuzugeben, daß diese wunderbaren Gedichte, die uns allerdings am Tiefsten in das innere Getriebe von Shakspere's

Seelenleben blicken lassen, in bestimmter Beziehung zu einigen. im neueren Hamlet angebrachten Betrachtungen stehen, sowie überhaupt der Dichter in dieser Tragödie am nächsten an uns heranzutreten scheint. Aber das Mißverständniß der Anschauung kommt schon in den eigenen Worten desselben Verfassers an den Tag. Er bezeichnet den Abstand von der Stimmung des Dichters zu der Zeit als der frühere Entwurf entstand und derjenigen, wo er die lezte Bearbeitung schrieb, mit dem Mangel an gedankenvoller Philosophie (thoughtful philosophy). Auch führt Ch. Knight, indem er diese Meinung zu der Seinigen macht, zu ihrer Begrüdung viele Zusäße des neueren Tertes an, welche den Tiefsinn der Anschauungen allerdings belegen. Nur möchte man fragen, wenn dieß der wesentliche Fortschritt Shakspere's in diesen neun bis elf Jahren gewesen, wenn diese philosophische Tiefe denn das ist es doch, wofür Hamlet fast einstimmig hochgepriesen wird der hervorragendste Anhaltepunkt wäre, um an ihn den Maßstab der Schäßung und Verehrung anzulegen, wie sollte man denselben dann bei den anderen Ausarbeitungen, wie bei König Lear und Timon von Athen, geschweige denn bei den umgearbeiteten Historien finden? Denn in diesen stehen Betrachtungen und Auslaffungen einer gedankenreichen Philosophie mindestens nicht im Vordergrunde. Man kann noch weiter gehen und die Frage aufstellen, ob unter der Voraussetzung aller der von Hallam aufgezählten bitteren Lehren und Erfahrungen diese gedankenvolle Philosophie das nothwendigste Resultat oder auch der geeignetste Balsam für die brennenden Wunden gewesen sein könne?

Doch, um die ganze Frage in wenig Worten zusammenzufassen: Wo bleibt die wunderbare Harmonie des Geistes, die, wie ich Ihnen schon früher ausgesprochen habe, die hervorragendste Eigenthümlichkeit von Shakspere ist? Diese zu erkennen, zu verfolgen und, so weit es einem untergeordneten Geiste gestattet ist, zu ergründen, halte ich für die zunächstliegende Aufgabe bei dem Bestreben nach dem Verständniß von Shakspere. Ihre Lösung liegt aber nicht in dem Bereich von

Betrachtungen einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Erscheinungen in seinem Leben oder seinen Dichtungen, noch kann dazu die Versinnlichung einzelner Seelenregungen und Geistesrichtungen genügen, wie sie nach dem Bedürfnisse des behandelten Gegenstandes am schlagendsten hervortreten. Sie liegt vielmehr in der willigen Aufnahme des Eindrucks von der gesammten und unzertrennten Erscheinung seiner ganzen. dichterischen Individualität. Was mit derselben nur als Beiwerk oder zufällig zusammenhängt, was als Anekdote sich darstellt, ist von den Forschern nach den Spuren und Elementen seiner Größe bis jetzt nur mit allzugroßer Bereitwilligkeit angezogen worden. Und ist man damit wohl weiter als zu immer neuen Mißverständnissen gekommen? Was hat es unter Anderem für ein Gewicht, wenn Ben Jonson ausgesprochen haben soll, Shakspere besige keine Kunst *), wenn derselbe Dichter behauptet haben soll, die Aeußerung der Herausgeber der Folio,,, er habe niemals etwas ausgestrichen", gereiche ihm mehr zum Tadel, als zum Lobe, da er weit mehr hätte. ausstreichen sollen, oder wenn B. Jonson wirklich behauptet hätte, es fehle Shakspere nicht allein an Kunst, sondern zuweilen auch an Verstand? Was bedeutet das Alles gegenüber der vor uns liegenden Thatsache, daß er bei vielen seiner Arbeiten, vielleicht bei den Meisten behufs ihrer Hinausführung zur höchsten Vollkommenheit keine Geduld und keine Mühe gescheut hat? Dieselbe Bewandtniß hat es mit dem Hervor

*) Diese Aeußerung von B. Jonson findet sich in den unter dem Titel: Heads of a conversation wiederholt bekannt gemachten Gesprächen mit Drummond. Gifford druckt dieselben ab: Works of B. J. Memoirs of etc. p. CXXII. Sie lautet dort vollständig:

He said Shakspere wanted art, and sometimes sense, for in one of his plays, he brought in a number of men saying. they had suffered ship-wreck in Bohemia, where is no sea near by a hundred miles.

Man kann jedem unbefangenen Urtheil die Entscheidung darüber anheimstellen, ob dieser, sowie allen in diesen Gesprächen gegebenen Ueberlieferungen nur der entfernteste Werth beizulegen sei.

heben seiner philosophischen Ausbildung, wenn wir bei seinen mannichfachen Schöpfungen Gefühl und Verstand, tiefsinnige Weisheit und Laune des Wizes, Kraft der Erfindung und Schärfe des Urtheils, kurz alle Bewegungen des Geistes in gleicher harmonischer Thätigkeit sehen.

Was die Hauptsache ist in dem wunderbaren Umstande, daß dieser tiefsinniggroße Stoff, in seiner Jugend von ihm erfaßt und bearbeitet, eine lange Reihe von Jahren in ihm ruhen und dann von Neuem von ihm ergriffen und bearbeitet werden konnte, ohne daß die Schöpfung der jugendlichen Phantasie seinem fortschreitenden Geiste sich entfremdet hätte, das wird durch solche Einzelbetrachtungen nicht unserer Anschauung zugeführt. Es ist das Zeugniß einer unermüdlichen Sorgfalt für die vollständige Entwickelung seiner unermeßlichen Begabung, eine unbeirrte Ausdauer in dem Verfolgen dieses hohen Zieles und eine unerschütterliche Treue gegen sein edles Selbst. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei der Umstand, daß bei allen uns bekannten und von der Kritik bestätigten Umarbeitungen niemals die erste Conception völlig umgestürzt, sondern dieselbe in der Hauptsache beibehalten wurde, und daß die neue Bearbeitung sich mit wenigen Ausnahmen auf die reichere Ausstattung und vollständigere Motivirung bezog. Wie wenigen großen Dichtern ist es doch gegeben gewesen, unter den Wechselfällen des Lebens diese Treue zu bewahren. Vielleicht ist es nur Sophokles und Dante, die wir neben dieser Erscheinung nennen dürfen, während Goethe, wiewohl mit Shakspere's Geiste nahverwandt, seiner schönsten und reichsten Begabung allzuschnell den Rücken gewandt hat. Es ist also undenkbar, daß Shakspere, wie man so oft hat glauben wollen, die höchsten Erfolge seiner poetischen Thätigkeit nur im Taumel einer bewußtlos genialen Begeisterung erreicht hat; es ist undenkbar, daß er das Schönste, Edelste und Erhabenste gleichsam nur im Sprunge oder unter der Gunst des Zufalls erfaßte. Wenn wir uns diese Gewißheit mit allen in ihrem Zusammenhange stehenden Folgen versinnlichen, dann stellt sich vor unser inneres

Auge das Bild des umfassendsten Geistes, der vielleicht jemals die Feder geführt hat. Wir kommen dann zu der bewundernden Betrachtung der ausgedehntesten Seelenthätigkeit. Denn das müssen wir uns dabei gestehen, daß die materielle Arbeit, die wir verfolgen können, die Niederschrift des Gedichtes, nur ein Schatten der stillen und unbemerkbaren Geistesarbeit sein könne, welche jener vorausgehen mußte. Wie tief er in den innersten Kern der Geschichte und ihre räthselhaftesten Fügungen eingedrungen sein mußte, ehe er seine Historien abfaßte, wie sorgsam und emsig er dem Treiben menschlicher Leidenschaften und Schwächen gelauscht haben mußte, ehe er einen Coriolan, Timon von Athen, einen Othello, Macbeth darstellte, mit welcher Hingebung und Verehrung er die feinsten Fäden in dem wunderbaren Gespinnste eines weiblichen Herzens verfolgt und betrachtet haben mußte, ehe er die brennende Leidenschaft einer Julia, die sanfte Unschuld einer Desdemona, die erhabene Weiblichkeit einer Imogen oder den reizenden Uebermuth einer Rosalinde und den übersprudelnden Geist einer Beatrice erfassen konnte, das Alles sind zwar Fragen und Betrachtungen, denen wir niemals vollständig auf den Grund sehen können. Aber daß es uns vergönnt ist, diesem Geheimniß nahe zu treten, daß wir die schönsten Schöpfungen Shaksperes nicht wie die zufällig ausgestrahlten Spiegelbilder auf dem Grunde eines bald von glücklichen Träumen getragenen, bald von schmerzlichen Erfahrungen bedrückten Gemüthes anzustaunen. brauchen, sondern als die reifen Früchte eines feinen, mit der zartesten Empfindung und der tiefsten Einsicht ausgestatteten Geistes bewundern und genießen lernen, das ist der wesentlichste Gewinn, den wir machen, indem wir diese häufigen und sorgsamen Umarbeitungen in der ganzen Ausdehnung ihrer Bedeutung betrachten. Sie sehen hieraus, verehrter Freund, wie ich in meinem zweiten Briefe damit beginnen mußte, dem hergebrachten Standpunkt für die Betrachtung Shakspere's den Krieg zu machen. Ich mußte Sie auf diesem, vielleicht zu langen Wege auf den Punkt führen, auf welchem ich die

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