worden seien. Diese Annahme hat schon an sich selbst sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Denn warum hätte derjenige, der den unvollkommen niedergeschriebenen Tert noch ein Mal durchgesehen hat, an der einen Stelle die Lücken stehen lassen sollen, während er an der anderen Verbesserungen machte? Noch weniger ist die Mangelhaftigkeit der einen neben der größeren Correktheit der andern Stellen mit der Vermuthung vereinbar, daß ein untergeordneter Schriftsteller zu Hülfe genommen worden sei. Beide Annahmen sehen, wie Sie mir eingestehen werden, die Anwendung einer, wenn auch noch so untergeordneten Befähigung voraus. Jene Unvollkommenheiten aber sind in metrischer, grammatischer und orthographischer Hinsicht so groß, daß sie selbst bei dem geringsten Maß von Befähigung undenkbar erscheinen, während selbst diejenigen Abweichungen, welche bei einer nothdürftigen Correctheit allenfalls für Aenderungen des unberechtigten Corrigenten gelten könnten, bet Weitem mehr Befähigung verrathen, als ihm nach jenen Mängeln zuzuschreiben ist. Dazu kommt ferner, daß wir es an vielen Stellen mit Verschiedenheiten des Tertes zu thun haben, denen entweder eine andere Auffassung desselben Gedankens, der sich in den späteren Drucken findet, zu Grunde liegt, oder die einen ganz anderen Gedanken als der spätere Tert aussprechen. Das ist es, wie man annehmen muß, was Delius unter demjenigen bedeutenden Rest von Verschiedenheiten versteht, der auch nach Abzug dessen übrig bleibt, was nach Colliers Ansicht durch äußere Einflüsse an dem Terte verdorben sein könne, und der mit innerer Nothwendigkeit auf Rechnung des Dichters selbst und nur des Dichters kommen müsse. Und das ist es auch, was Ch. Knight in seiner schon erwähnten Abhandlung zusammengestellt hat. Es besteht nicht blos in einer anderen, oft kürzeren Ausdrucksweise, sondern auch in Zusähen, welche bei späteren Drucken fehlen. Besonders beachtenswerth ist die Versetzung zweier wesentlichen Szenen. Sie ist nicht sorglos gemacht, wie Collier behauptet, sondern steht im Zusammenhang mit andern Verschiedenheiten. Dieselbe Bewandtniß hat es mit wesentlich verschiedenen Aeußerungen mehrerer Hauptpersonen in den wichtigsten und entscheidendsten Szenen. Auch sie erscheinen weder von Mißverständniß, Sorglosigkeit noch einem anderen äußeren Einfluß veranlaßt; denn sie stimmen mit anderen Abweichungen überein, welche ohne jene Prämissen sinnlos sein würden. Selbst eine ganze Szene, welche in allen späteren Drucken fehlen mußte, weil 'jene Aeußerungen abgeändert waren, steht mit denselben in engster Verbindung. Endlich bleibt noch zu erwähnen, was schon in den angeführten Worten Colliers berührt worden ist, daß nämlich eine der Hauptpersonen und eine Nebenperson anders benannt sind, als in den späteren Drucken. Denn, wie Sie oben gelesen haben werden, heißt der Kämmerer nicht Polonius, sondern Corambis, sein Diener nicht Reynold, sondern Montano. Wie sollte das Alles mit Colliers Annahme, daß hier eine Nachhülfe nach dem Gedächtniß oder der Beistand eines untergeordneten Schriftstellers eingewirkt habe, nur einiger Maßen vereinbar sein? Was er über die Verschiedenheit der Namen sagt, scheint in doppelter Hinsicht unhaltbar. Entweder möchten sie, so meint er, die Namen des älteren Stückes gewesen sein, oder Shakspere könne sie vor dem Druck von 1604 verändert haben. Er nimmt also hier wiederum die Meinung auf, daß zwar vor der lezten Abfassung des Hamlet ein älteres Stück von gleichem Namen und Inhalt eristirt habe, dieses aber von Shakspere nicht verfaßt sei. Hierüber habe ich, so weit es bis jezt nöthig war, mich genug ausgesprochen, um Sie nicht mit einer weiteren Widerlegung dieser Aufstellung zu belästigen. Was aber sollen wir zu der Vermuthung sagen, daß Shakspere die Namen selbst vor dem Druck von 1604 verändert haben möge? Zugegeben, daß B. Jonson eine ähnliche Veränderung einmal vorgenommen hat, so würde selbst dann, wenn diese Anführung hier von einiger Beweiskraft wäre, für Colliers Meinung nur wenig oder nichts gewonnen sein. Denn die oben angeführten Umstände sind von so überwiegender Bedeutung für die entgegenstehende Meinung, daß diese selbst dann noch festgehalten werden müßte, wenn diese untergeordnete Vermuthung gerechtfertigt würde. Diese lezte Auslaffung hat beinahe das Ansehn der verzweifelten Vertheidigung einer Behauptung, deren Unhaltbarkeit der Vertheidiger selbst fühlt. Ehe wir schießlich zu dem Endurtheil kommen, ob wir uns der Anficht Colliers über die Art der Entstehung dieses Druckes anschließen können, oder darüber eine völlig abweichende Meinung haben müssen, muß ich Sie noch einmal auf den dritten Punkt seiner Auslassungen verweisen. Er lautet im Original folgender Maßen: That pp. the drama, as it was acted, while the short hand writer was employed in taking it down, was, in all its main features, the same as the more perfect copy of the tragedy with the date of 1604." Ich wüßte nicht, wie sich diese Worte anders sollten übersehen lassen, als: Daß das Drama, als es aufgeführt wurde, während der Schnellschreiber beschäftigt war es niederzuschreiben, in seiner wesentlichen Gestaltung dasselbe gewesen sei, wie der vollkommenere Abdruck der Tragödie, der mit der Jahreszahl von 1604 gemacht wurde. Offenbar kommt es hier auf die Worte:,, in seiner wesentlichen Gestaltung" an. Denn hätte Collier ausdrücken wollen, daß das vom Schnellschreiber angehörte und niedergeschriebene Stück genau dasselbe gewesen sei, wie das im Jahre 1604 abgedruckte, so würde er diesen Ausdruck nicht eingeschaltet haben. Wie er aber diese Worte sowie den ganzen Saz wolle verstanden haben, ohne daß dabei alle Gründe der zunächst liegenden Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit aus den Augen gesezt werden, ist nicht leicht zu begreifen. Sollte er in der That geglaubt haben, der nachlässige Geschwindschreiber könne statt der von ihm angehörten 4300 Verse oder Zeilen nur 2200 bis 2300 oder noch weniger niedergeschrieben und das Fehlende nach dem Gedächtniß ergänzt haben? Oder sollte er der Meinung sein, daß im Jahre 1602 oder 1603 jene kürzere Abfassung der Tragödie aufgeführt worden sei, welche jedoch in der Hauptsache mit dem Druck von 1604 übereingestimmt habe und ganz kurz vor dieser Auflage um fast das Doppelte erweitert worden? Sie werden wohl mit mir darin übereinstimmen, daß Beides kaum denkbar ist. Jenes, weil es an sich selbst unglaubhaft scheint, nach den oben angeführten Gründen aber völlig undenkbar wird, und überdieß durch den Titel des Druces von 1604*) die Thatsache unzweifelhaft ist, daß es vor demselben eine Bearbeitung oder Ausgabe von nicht viel mehr, als der Hälfte der Ausdehnung gegeben habe. Allerdings steht auf dem Titel des Druckes von 1604 nicht ausdrücklich, daß das Stück in dieser Gestalt zulezt aufgeführt worden sei. Man könnte daher vielleicht vermuthen wollen, daß diese vollständigere Ausarbeitnug und Erweiterung des Stückes erst gemacht worden wäre, nachdem der Druck von 1603 erschienen war; wobei jedoch, um sich Collier anzuschlie-ßen, zugleich behauptet werden müßte, daß die beschränktere Ausarbeitung in Allem, was sie von dem Tert von 1604 enthalten habe, mit diesem übereinstimmend gewesen sei. Das aber stimmt nicht mit Colliers Annahme derjenigen Zeit, in welche er die Abfassung des jüngsten Tertes von Hamlet sezt, da er meint, dieselbe müsse im Winter von 1601 oder im Frühling von 1602 Statt gefunden haben. Auch ist, wie ich meine, aus den Worten:,, according to the true and perfect coppie" die Vermuthung zu schöpfen, daß diese ächte und lehte Bearbeitung schon eristirt habe, als der unberechtigte Druck *) The tragical historie of Hamlet, Prince of Denmarke. By William Shakespeare. Newly imprinted and enlarged to almost as much againe as it was, accordiog to the true and perfect Coppie. At London, printed by J. R. for N. L. and are to be sold at his shop under St. Dunstons Church in Fleetstreet 1604. von 1603 veranstaltet wurde. Endlich könnte noch zu Colliers Rechtfertigung angefürt werden, insofern könne allerdings die wesentliche Gestaltung des Stückes in der Quartausgabe von 1603 für dieselbe wie in der von 1604 gehalten werden, als der Gang der Handlung mit wenigen Ausnahmen derselbe, auch die Hauptbegebenheiten einschließlich der Katastrophe nicht wesentlich verschieden sein. Dieß aber würde eine überaus ungenügende Beurtheilung sein, weil, tros dieser Uebereinstimmung im Allgemeinen, durch die nur oberflächlich angedeute ten Verschiedenheiten in mehreren Aeußerungen der Hauptpersonen und dergl. mehr die Motivirung der Handlungsweise derselben eine wesentlich andere wird. Dieß im Zusammenhange aus dem Einzelnen nachzuweisen, wird meine Aufgabe in dem nächsten Abschnitt sein. Bevor wir aber darauf eingehn, bleibt noch übrig, uns davon Rechenschaft zu geben, wie wir uns die Entstehung dieses alten Druckes denken dürfen, wenn wir nicht Colliers Meinung folgen und mit ihm annehmen wollen, daß er während der Aufführung von einem Geschwindschreiber zu Papiere gebracht sei. Welche Dunkelheiten darüber auch unter allen Umständen für immer bleiben werden und so sehr wir auch in dieser Beziehung nur auf Vermuthungen angewiesen sind, so ist dennoch, wie Sie schon aus dem Bishergesagten abnehmen werden, so viel über jeden Zweifel erhaben, daß wir es in dieser Ausgabe mit einem andern Original zu thun haben, als mit dem, welches dem Druck von 1604 zu Grunde liegt; mit anderen Worten, um zu einer unbefangenen Anschauung zu kommen, müssen wir uns von derjenigen Ansicht völlig trennen, die der ganzen Auslassung von P. Collier zu Grunde liegt. Wie Sie gesehn haben, ist dieß auch mit der Meinung von Delius und Ch. Knight übereinstimmend. Auch Hunter scheint diese Ansicht zu haben. Ch. Knight meint, der Hamlet von 1603 sei die Skizze des vollkommenen Hamlet und wahrscheinlich ein verdorbener Abdruck dieser Skizze. Ist aber diese Skizze dasjenige Drama, das wie die Ausgabe von 1603 auf ihrem |