Es ist, wie ich hoffe, hiermit genug gesagt, um mich darüber zu rechtfertigen, wenn ich bei dem Bedürfnisse, in der Betrachtung Shakspere's nach dem höchsten und unbefangensten Standpunkte zu streben, dem Rathe und den Meinungen von den Meisten der neueren englischen Kritiker nicht unbedingt zu folgen vermag. Nur ist noch einer Ausnahme von der allgemeinen Regel zu gedenken. Unter Allen nimmt Charles Knight, der Herausgeber der pictorial edition aus der Zeit von 1839 bis 1841, den bei Weitem unbefangensten Standpunkt in dem Urtheil über Shakspere ein. Auch er kann sich mit der Meinung nicht vertragen, daß Shakspere erst im Jahre 1589 begonnen habe dramatische Arbeiten abzufassen. Diese Ansicht ist von ihm wiederholt geltend gemacht worden. Wollen Sie Sich über seinen Standpunkt in Bezug auf diese Frage genaner unterrichten, so habe ich Ihnen besonders zwei seiner Abhandlungen zu empfehlen. Zuerst ist zu nennen die ausführliche Widerlegung der von Malone ausgesprochenen und in einem eigenen Buche vertheidigten Meinung, daß die beiden lezten Theile von Heinrich VI. nur eine Umarbeitung der älteren Stücke eines anderen Autors unter dem Titel The contention of the two famous houses of York and Lancaster pp. sein. Dann ist am Wichtigsten seine Abhandlung über den Titus Andronikus. Viele Berichtigungen und Zurechtweisungen älterer Kritiker sind in seiner history of opinion on the writings of Shakspeare zu finden, und endlich ist für unseren Zweck am Wichtigsten seine Auslassung über das Alter der Tragödie Hamlet, auf welche ich später zurückkommen werde. Unter dessen Vorgang ist es denn auch, daß ich noch einen wesentlichen Einwurf gegen Shakspere's selbstständige dramatische Arbeiten vor dem Jahre 1589 zu besprechen habe. Es ist nicht zu läugnen, daß sich alle Dramen Shakspere's, wie dieß schon im ersten Briefe erwähnt worden ist, auf eine bestimmte Quelle zurückführen lassen. Bald sind es italienische Novellen, bald einzelne Stellen älterer englischer Dichter, wie Sir Philipp Sidney, Spenser, auch vielleicht Chaucer, welche mit mehr oder minderem Rechte von den Commentatoren für ganze Stücke oder einzelne Situationen in denselben als Vorgang und Quelle angeführt werden. Daß seine Historien dem Holinshed, seine römischen Stücke dem Plutarch entnommen sind, ist allzubekannt, um darauf von Neuem aufmerksam zu machen. Sei es nun, daß dieser Umstand allein Veranlassung gab, oder haben die oft wörtlich aus solchen Unterlagen in die Stücke übertragenen Stellen dabei den Ausschlag gegeben, kurz es ist fast die übereinstimmende Meinung, besonders der älteren Commentatoren, daß streng genommen Shakspere im Allgemeinen der Ruhm eines selbstständigen dramatischen Dichters nicht gebühre; denn da seine Stoffe fast ohne Ausnahme entlehnt seien, könne er nur der Ueberarbeiter derselben genannt werden. Es kann hier nicht darauf ankommen, den durchaus falschen Grund, auf welchem diese Ansicht ruht, und mit ihm die Unhaltbarkeit der Meinung selbst zu erörtern. Nur davon werden Sie, wie ich annehmen darf, überzeugt sein, daß ein hoher Grad von Verblendung, ein gänzlicher Mangel an poetischer Empfänglichkeit dazu gehöre, um ein solches Urtheil zu fällen, und daß es nicht unbillig ist, wenn man solche Kritiker bei aller Erkenntlichkeit für manche Geschenke ihres Forscherfleißes nicht zu Führern bei dem Verfolgen von Shakspere's geistiger Entwickelung annehmen will. Aus diesem Frrthum folgte zunächst, daß man jeden Wink über die Existenz solcher Arbeiten, die älter sein konnten, als die in der ersten Originalausgabe von 1623 aufgenommenen, entweder mit Geringschäßung übersah oder mit der vorgefaßten Meinung über die Unächtheit derselben als trügerisch abwies. Behandelten aber solche ältere Stücke denselben Stoff, wie anerkannte Dramen Shakspere's, so galt es nicht allein für ausgemacht, daß diese von einem andern Verfaffer herrühren müßten und dem erfindungsarmen Shakspere als Unterlage gedient haben, sondern man ging auch in dem Eifer des einmal befestigten Vorurtheils so weit, daß man die schlagendsten Belege für eine entgegenstehende Meinung mit blinder Hartnäckigkeit bekämpfte. Dieß ist der Fall, in der schon oben erwähnten Schrift von Malone über die alten Stücke, welche dieselbe Periode der Bürgerkriege wie der II. und III. Theil Heinrich VI. behandeln. Und mit diesem armseligen Behelf suchte man sich aus dem Dilemma herauszuziehn, daß man nach natürlichen Gründen eine völlige Unthätigkeit Shakspere's in Bezug auf dramatische Arbeiten bis in sein 25. Jahr für undenkbar halten mußte, und gleichwol aus Gründen einer unnatürlichen Kritik an der einmal aufgestellten Behauptung festhalten wollte. Man läugnete oder bezweifelte, daß vor dem Jahre 1589 ein Originalstück Shakspere's eristirt haben könne, man ließ sich aber zu dem Zugeständniß herbei, daß er bis dahin mit der Bearbeitung und Umgestaltung älterer und unvollkommener Dramen beschäftigt gewesen sei. Am Schlagendsten und zugleich am Ueberraschendsten tritt diese Anschauung bei P. Collier hervor, dem man doch nicht das Anerkenntniß und den Dank versagen kann, die Anstrengung eines langen Lebens dem Studium Shakspere's gewidmet und viele wichtige thatsächliche Enthüllungen an das Licht gebracht zu haben. Auch Hallam (Litterature of Europe Vol. II.) scheint nach dem Zeugniß von Ch. Knight in demselben Falle zu sein; ich kann Ihnen aber von diesem nicht ausdrücklich sprechen, weil ich seine Auslassungen nicht selbst gelesen habe. In P. Collier's schon genanntem Life of W. Shakspeare Sh. ed. p. CXIII pp. findet Sie dagegen wörtlich folgendes: Es ist unmöglich zu bestimmen, fast unmöglich zu er rathen, was Shakspere im Jahre 1589 geschrieben und nicht geschrieben hatte. Daß er seine Feder vorzugsweise dazu anlegte, bestehende Dramen von neuem ins Leben. zu rufen, zu verändern und zu verbessern, sind wir genöthigt zu glauben, doch würde es zu kühn sein zu behaupten, daß er sich nicht an selbstständige Compositionen gemacht habe.,,The comedy of Errors" halten wir für eins der Stücke, das, von einem untergeordneten Drama titer zuerst abgefaßt, von Shakspere, vielleicht um die Zeit, von der wir eben sprechen, auf einen höheren Standpunkt gebracht und verbessert worden und,,Love's labour's lost" oder ,,the two gentleman of Verona" mögen Originaldichtungen sein, die vor 1590 auf die Bühne gebracht worden sind. Sie werden bemerken, daß die Vorsicht mit welcher hier die Ausdrücke gewählt sind, von der Unsicherheit und dem Mangel einer feststehenden Ueberzeugung zeugt. Ist es nicht, als ob der Verfasser sich fürchte, der gebieterischen Macht eines allgemein herrschenden Vorurtheils entgegenzutreten, wenn er eine Behauptung aufstellte, mit der die Beurtheilung Shakspere's von der hergebrachten Beschränkung befreit würde? Noch auffallender ist es, daß er für seine Meinung hinsichtlich der Comödie der Irrungen den Titel,, the history of error" anführt. Diesen Titel hat allerdings ein älteres Stück getragen, das schon im Jahre 1577 Inhalts der veröffentlichten Rechnungen über die Lustbarkeiten am Hofe aufgeführt worden. Aber wir haben dieses Stück nicht mehr, und daß unter diesem Titel derselbe Gegenstand behandelt wurde, den uns Shakspere in der Comedy of Errors vorführt, ist nur eine Vermuthung. Um wie viel mehr steht daher die Meinung in der Luft, daß dieses Stück das Original von Shakspere's Drama sei. Eben so möchte man sich darüber wundern, daß Collier nicht Anstand nimmt eine Stelle aus F. G. Tomlins a brief view of the english Drama" gegen seine Annahme mitzutheilen. Die Stelle aus Tomlins lautet folgender Maßen: ,,Wir sind daher zu der Ueberzeugung gedrängt, daß ihm seine Schriften diese Auszeichnung verschafft haben. Was hatte er geschrieben? das ist die erste Frage, der wir begegnen. Wahrscheinlich Original-Dramen, denn die Umarbeitung von Stücken Anderer konnte kaum der unerfahrenen Hand eines jungen Ingeniums vertraut werden, das seine Kenntniß von den Bühnenverhältnissen durch eigene Erzeugniß noch nicht an den Tag gelegt hatte. Eine solche Arbeit würde von den Leitern der Bühne mit Eifersucht überwacht worden sein und stets eine große Befähigung und Erfahrung erfordert haben. Shakspere war bei aller seiner Gewalt auch menschlich, und es ist kaum möglich, daß ein so reifer, reicher und überströmender Geist wie der Seinige nicht zu dem Enthusiasmus für originale Erzeugnisse entzündet worden sei, sondern sich mit dem mechanischen Ausflicken untergeordneter Werke Anderer begnügt habe." Wir sehn hieraus wenigstens, daß es außer der ausgezeichneten Stimme von Ch. Knight auch noch Andere in England giebt, die sich mit der Vorstellung nicht vertragen können, als habe Shakspere seine Laufbahn nur mit Umarbeiten und Abändern älterer Stücke begonnen. Ob der diesem Passus angehängte Einwurf Colliers, daß es weit mehr Befähigung erfordere, neue Stücke zu schreiben, als zu den Reden oder Szenen eines Aelteren nur einige Zusäße zu machen, zur Widerlegung jener Meinung genüge, bedarf hier keiner genaueren Untersuchung. Doch giebt er uns einiges Anhalten über die Schwäche der Anschauungen und Vorstellungen von Shakspere's gesammter Individualität. Denn es liegt darin der Beweis, daß auch Collier sich nicht zu der poetischen Höhe erheben konnte, unseres Dichters eigenstes Wesen nicht in einzelnen Wendungen, Reden oder Situationen, mit einem Worte nicht in dem Machwerk, sondern in dem von keinem Andern erreichten poetischdramatischen Geiste zu erkennen. Fragen Sie, was ein so ausdauerndes Beharren bei einer unläugbar irrthümlichen Ansicht veranlassen und begründen konnte, so muß ich nun endlich auf eine vielfach angezogene Stelle aus einer Schrift von R. Greenwahrscheinlich die lezte seines Lebens kommen. Da ich hierbei mich vorzugsweise der Autorität von Ch. Knight bedienen muß — denn ich kann Ihnen darüber nichts befferes sagen, als dieser erLeuchtete Kritiker, so gestatten Sie mir ein für alle Mal auf die schon oben erwähnte Schrift hinzuweisen. Sie finden dieselbe im 2. Bande der Histories seiner pict. edition p. |