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ländern zuerst auf die innere Harmonie von Shakspere's Geist aufmerksam gemacht zu haben, vermag ich kein erschöpfendes Urtheil abzugeben, weil die Vorlesungen, welche er schon in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts begonnen hat, meines Wissens nicht im Druck erschienen sind. Was aber in den zwei Bänden seines literarischen Nachlasses mir zu Gesicht ge= kommen ist, steht größten Theils so unläugbar auf der Autorität der deutschen Kritik, daß die Herausgeberin desselben sogar im Stande gewesen ist, namentlich in Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Poesie die bezüglichen Stellen nachzuweisen. P. Collier beginnt sogar die im Jahre 1831 herausgegebene Geschichte der englisch-dramatischen Poesie und Bühne mit dem Geständniß, daß, während in Deutschland dieselbe mit Begeisterung bewundert und mit Fleiß studirt worden sei, sie in England verhältnißmäßig wenig Aufmerksamkeit erregt habe*).

*) Es ist mir nicht unbekannt, daß diese Auslassungen in entschiedenem Widerspruche mit denjenigen Behauptungen stehen, auf welche Delius in der Einleitung zu der im Jahre 1846 erschienenen Beleuchtung der Tieck'schen Shakspere-Kritik den schärfsten Tadel gegen diesen Schriftsteller gründet. Man wird aber nicht von mir verlangen, daß ich von diesen Aufstellungen Lehre annehmen solle, da sie den bekanntesten Thatsachen zuwiderlaufen. Zu einer weitern Widerlegung derselben findet sich schon in dem bisher Ausgesprochenen für Jeden, der sich von der Wahrheit meiner Anführungen überzeugen will, ge= nügender Stoff. Ueberdies trägt die ganze Schrift des Dr. Delius so sehr das Gepräge einer leidenschaftlichen Auslassung, daß dem unbefange= nen und redlichen Forscher diejenigen inneren Widersprüche nicht ver= borgen bleiben werden, durch welche sie sich selbst widerlegt. Ich muß sogar vermuthen, daß der Verfasser selbst diese, wer weiß in welcher ungünstigen Stunde, herausgeschleuderten Behauptungen heute nicht mehr in ihrer ganzen Ausdehnung aufrecht erhalten würde. Denn es ist geradezu undenkbar, daß der anhaltende Fleiß, welchen er seit dieser Zeit auf das Studium von Shakspere gewendet hat, ihn nicht über die Unhaltbarkeit der Meisten aufgeklärt haben sollte. Nur das Eine will ich noch hinzufügen, daß wir bei der Beurtheilung dessen, was für das Verständniß Shakspere's von der Kritik geleistet worden

Wenn wir auf diese Weise für unser Vaterland. den Ruhm in Anspruch nehmen, auch in England eine beffere Kritik Shakspere's veranlaßt zu haben, so ist dieß nicht so anmaßend, als es scheinen möchte. Wir sind vielmehr genöthigt uns zu gestehen, daß das Bedürfniß, uns der Poesie Shakspere's mit größerer Freiheit und Unbefangenheit zuzuwenden, als es in England geschehen ist, aus Umständen hervorging, an welche wir nicht ohne Beschämung zurück denken können. Denn wer könnte die Versunkenheit der deutschen Literatur bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts, die Geistesarmuth, welche weit länger als hundert Jahre jedem Versuch nach einer selbstständigen poetischen Erhebung hartnäckig widerstand, ohne Trauer betrachten? Und doch war dieser Druck gewisser Maßen die nothwendige Bedingung, daß nach Lessings tapferem Kampfe gegen den armseligen Zauber, unter welchem der Geist der deutschen Poesie schlief, nach Klopstocks Vortreten in ächt

ist, nicht den alleinigen Maaßstab in der philologischen Befähigung oder Schwäche des Kritikers suchen dürfen. Angenommen, daß der gelehrte Dr. Delius in dieser Befähigung Tieck übertroffen hätte, so folgt daraus noch nicht, daß er Shakspere's dichterischen Werth besser zu bemessen im Stande wäre. Doch auch darüber sollte der Verfasser in den lezten Jahren zu einer anderen Ansicht gekommen sein, da er bei der Bearbeitung seiner Shakspere-Ausgabe vom Jahre 1854 und des Shakspere - Lerikon von 1852 wiederholt die Bemerkung gemacht haben muß, wie oft uns die Vorarbeiten selbst der, nach Verhältniß damaliger Zeit gelehrtesten Sprachforscher, S. Johnson nicht ausge= nommen, namentlich über die Sprache Shakspere's im Stich lassen. Es fehlt heute allerdings nicht mehr an Bestrebungen, welche dahin gerichtet sind, diesen Mangel aufzudecken und nach Kräften zu heilen. Aber troß der Arbeiten von Todd, Nares, Halliwell und Andern bleibt gerade in dieser Hinsicht noch viel zu wünschen übrig und noch immer find in allen Dictionären und Glossaren so bedeutende Lücken fühlbar, daß wir ohne das fleißige Durchforschen der Werke von Shakspere's Vorgängern und Zeitgenossen für viele Ausdrücke und Wendungen rathlos bleiben. Hierin aber gerade war Tieck schon in dem leßten Decennium des vorigen Jahrhunderts allen seinen Zeitgenossen vorausgegangen. Es konnte daher geschehen, daß ihm Bedeutungen und

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poetischer Begeisterung, diese mit jugendlicher Kraft wieder erwachte, als Goethe diejenigen Saiten des Gemüths wieder anschlug, nach deren Tönen man lange Zeit sehnsüchtig gelauscht, aber vergebens gerungen hatte. Die Stimmung, welche durch dieses Wunder erregt wurde, konnte und mußte unter jenen Vorgängen nur eine jugendliche sein, sie mußte daher mit allen Vorzügen einer solchen auch alle Schwächen Beziehungen bekannt waren, welche selbst dem gründlichsten Philologen, wenn er seine Belehrung nur aus der englischen Grammatik und den Wörterbüchern des achzehnten Jahrhunderts geschöpft hatte, befremdend erschienen. Daß er in dieser Beziehung nicht über jeden Irthum erhaben war, bedarf weder einer Erwähnung noch einer Entschuldigung. Gewiß aber ist Niemand, der es ehrlich meint mit dem Verständniß des Dichters, in vollem Rechte, wenn er bei der Bemerkung von Jrthümern in dieser Hinsicht auf „wirkliche Ignoranz“ Tiecks schließt und sich deshalb für berechtigt hält, dessen Anmerkungen zu der Uebersezung glattweg über Bord zu werfen.

Endlich sei noch die Auslassung einer fremden Feder hinzugefügt: „Die Ueberseßung von Schlegels Werk (Vorlesungen über dra„matische Literatur und Kunst) im Jahre 1815 in Verbindung „mit den bewunderungswürdigen Vorlesungen von Coleridge, „wies der volksthümlichen Meinung über Shakspere unter den „wenigen Denkern darüber eine neue Richtung an. Andere „Kritiker von einer höheren Schule als die Gattung unserer Commentatoren waren Schlegel in Deutschland vorausgegan„gen, und es möchte nicht zu viel gesagt sein, daß, in gleicher „Weise wie ihre ästhetische Schule vorzugsweise durch das „verehrungswürdige Studium Shakspere's gebildet worden ist, „dieselbe ästhetische Schule uns das verehrungswürdige Studium „Shakspere's zurückgesendet hat."

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So schreibt Chls. Knight um das Jahr 1840 oder 1841 in seiner Geschichte der Meinung über Shakspere's Schriften, (Pictorial ed. Vol. VIII. p. 385.). War es daher als „ein Wahn“ zu bezeichnen, daß Tieck, als er in den Jahren zwischen 1826 und 1833 seine Anmerkungen zu der unter seinem Namen herausgegebenen Ueberseßung schrieb, der Meinung war, Shakspere sei weit besser in Deutschland als in England verstanden worden, und erst von Deutschland aus sei eine richtigere Kenntniß und Beurtheilung Shakspere's ausgegangen, so theilte er mindestens diesen Wahn" mit dem hervorragensten Kritiker Shakspere's in England.

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der frischen Jugend verbinden. Ich kann mich daher mit derjenigen Kritik nicht verständigen, welche bei der Betrachtung der zunächst folgenden sogenannten Romantiker ihr Hauptaugenmerk auf die Schwächen und Verirrungen derselben richtet, ohne zu begreifen, daß eines Theils der Ausgangspunkt ihrer angeblichen Führer seien dieß nun die Gebrüder Schlegel oder Tieck gewesen in Goethes Vorgang gegeben war, und daß anderen Theils das, von allen Neben und untergeordneten Rücksichten entbundene Streben nach Befriedigung in der Poesie selbst die einzige Bedingung war, um uns den Genuß und das Verständniß einer langentbehrten Poesie zu erschließen. Dieß gilt vorzugsweise von der oft mißverstandenen und als Manie angefeindeten Verehrung für Shakspere. Nur deshalb, weil sie aus dem innigen Zusammenhang mit der Stimmung hervorging, weil sie der Ausdruck eines natürlichen Bedürfnisses war, konnte sie den Einfluß üben, den sie gehabt hat. Man kann sich daher kaum der Ueberzeugung entschlagen, daß die Geringschätzung, mit welcher schon Goethe, in einer gereizten Stimmung gegen die sogenannten Romantiker, ihre Auslassungen zu betrachten begann, und die, wie es scheint, in der neueren Kritik zur herrschenden Mode geworden ist, nicht sowohl auf der Erkenntniß eines falschen Standpunktes derselben beruht, sondern vielmehr dadurch veranlaßt wird, daß die neueren Kritiker den richtigen Standpunkt für die Betrachtung von Shakspere verloren haben. So viel ist mindestens gewiß, daß nicht die Schriften derjenigen Kritiker, welche heutiges Tages Shakspere's Poesie theils nach vorausgebildeten psychologischen oder philosophischen Schemen zu beurtheilen oder die Schöpfungen derselben bald mit politisch, bald mit sozial-gestalteten Ariomen in Verbindung zu bringen und zu erläutern suchen, den Umschwung der Meinungen in England hervorgebracht haben, sondern daß er aus derjenigen Zeit herrührt, wo man in der Verehrung des großen Geistes in Shakspere's Dichtungen sich mit der Hinweisung auf diesen begnügte.

v. Friesen, Briefe.

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Finden wir denn in diesem von Außen kommenden Anstoße den Schlüssel zu dem Räthsel, warum eine Nation und eine Zeit, welche nach ihrer ganzen Gestaltung der innigen Hingebung an ein rückhaltloses Verständniß Shakspere's entrückt ist, sich demselben mit Einem Male zugewendet habe, so liegt darin zugleich die Erklärung, daß das Eingehn auf denselben von jenen nationalen und zeitgemäßen Bedingungen sich nicht völlig losreißen konnte. Auch wird der aufmerksame Beobachter in dem Eifer, womit in England unendlich viel Materialien gesammelt worden sind, um das Studium und Verständniß Shakspere's zu fördern, den Ausdruck des überspannten und gewiffer Maßen verlegten Nationalgefühles nicht verkennen. Nicht weil die poetische Stimmung der Zeit diese Forderung aussprach, sondern weil man sich durch eine gediegenere und höhere Verehrung des größten englischen Dichters in der Fremde in dem nationalen Stolze verlegt fühlte, weil man in einer Sache dieses Hochgefühles nicht zurückstehn wollte, unterzog man sich dieser Mühe und Anstrengung.

Ich verkenne nicht, was Sie mir einwenden könnten, indem Sie darauf hinwiesen, daß das neunzehnte Jahrhundert in der eigenen Literatur der Engländer manche Namen zu nennen habe, die als Propheten eines neuen Lichtes gelten dürften. Ich werde nicht wagen den poetischen Ruhm Byrons anzugreifen, noch ist es hier der Ort, die Frage zu erörtern, ob Walther Scott und Andere den Ruf und Ruhm verdienen, den sie lange genossen haben. Wie kommt es aber, daß diese gleich andern gefeierten Dichtern am Wenigsten von einer innigen und völlig rückhaltlosen Verehrung für Shakspere Zeugniß abgelegt haben, daß sogar Byron sich niemals ganz mit ihm vertragen konnte? Mir scheint, daß in diesem Umstande der schlagendeste Beleg für den Mangel eines ursprünglich poetischen Impulses bei der gesteigerten Verehrung Shakspere's liegt. Wie ganz anders war es in Deutschland, wo gerade die gefeiertesten Dichter, Goethe an ihrer Spize, die erste Stimme für die Verherrlichung Shakspere's führten.

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