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bleibt es vor Allem verwunderlich, daß die vielen scharfsinnigen Commentatoren Shakspere's, die an dieser Ueberlieferung festhalten, meines Wissens niemals auf den Gedanken gekommen sind, aus einer anderen Stelle seiner Dramen zu erkennen, daß er für den Namen Luch eine eigene Verehrung hatte. Diese Stelle findet sich in der 6. Sz. des IV. Aktes vom ersten Theile Heinrich VI. Ich habe mir niemals vorstellen können, daß Shakspere die dort ausgesprochenen hochherzigen Reden einem Sir William Luch in den Mund gelegt haben würde, wenn er im Stande gewesen wäre, die Bitterkeit gegen einen Edelmann gleichen Namens Jahre lang im Herzen zu behalten und dann in dem späteren Stücke zu äußern. Auch soll Malone nach einer Stelle in Hunter (Vol. 1. p. 55.) die ganze Ueberlieferung in Zweifel gezogen haben.

Wir brauchen, wie ich meine, diese Untersuchung nicht noch weiter auszudehnen; denn angenommen auch, daß Shakspere in seinem 20. oder 21. Jahre eine solche nicht einmal schwere Verschuldung auf sich geladen hätte, angenommen ferner, daß dieser ganze Handel zu seiner Entfernung von Stratford beigetragen hätte, so folgt daraus nicht das Mindeste für seine damalige geistige Beschäftigung. Mindestens werden Sie es nicht für unerhört halten, daß ein junger Mann sich den äußersten jugendlichen Ausgelassenheiten ergeben, ja sogar in denselben sich bis zu einem satyrischen Ausfall gegen eine verehrungswürdige Persönlichkeit vergessen habe, und dennoch mit poetischen Gedanken und Uebungen beschäftigt gewesen sei. Von solchem Standpunkte möchten wir fast zu der Meinung kommen, als habe das allgemeine Vorurtheil, in Shakspere's gesammter Erscheinung das Bild einer völlig regellosen, fast wilden Genialität zu erkennen, in dieser Ueberlieferung eine willkommene Bestätigung und Nahrung gefunden. P. Collier, der unter den neueren Commentatoren als gewissenhafter und unermüdlicher Forscher fast die erste Stelle einnimmt, scheint auf die ganze Ueberlieferung auch nicht mehr Werth zu legen, als sie verdient. Dagegen giebt er uns den Nachweis von

Umständen, welche nicht allein für Shakspere's Entfernung aus Stratford, sondern auch im Allgemeinen für die Eindrücke, welche auf seine gesammte dichterische Ausbildung damals ge= wirkt haben können, von der höchsten Bedeutung sind. Nach denjenigen Mittheilungen, welche er uns in Bezug auf die Geschichte der englischen Bühne und das Leben Shakspere's in dem ersten Bande seiner Sh. Ed. (p. XCIX.) macht, können wir daran nicht zweifeln, daß in dem Zeitraume von 1569 bis 1587 mehrere, und unter ihnen die besten Schauspielergesellschaften damaliger Zeit wiederholte Vorstellungen in Shakspere's Vaterstadt gegeben haben. Er führt elf Fälle in verschiedenen Jahren an. Im Jahre 1586 sind sogar drei Schauspielertruppen nach einander in Stratford am Avon ge= wesen. Daß der junge William Shakspere mit diesen Schauspielergesellschaften gar keinen Verkehr gehabt, niemals eine Vorstellung derselben gesehen habe, würde nur bei der äußersten Unkenntniß oder Verblendung über die bestehenden Verhältnisse vermuthet werden können. Denn soviel haben selbst die eifrigsten Zweifler an unseres Dichters Jugendbildung nicht abstreiten können, daß sein Vater ein angesehener Bürger der kleinen Stadt Stratford gewesen ist und in demselben Zeitraume einige Jahre das Amt eines Baillif of the borough bekleidet hat. In dieser Stellung als erste Magistratsperson war es an ihm, den fremden Schauspielergesellschaften die Genehmigung zu ihren Vorstellungen, die in der Regel im Stadthause aufgeführt wurden, zu ertheilen.

Bei dieser Gewißheit gewinnen wir unfehlbar ein ganz anderes Bild von Shakspere's Jugend- und Jünglingsjahren, als wenn wir ihn nur in Verbindung mit den gangbarsten Ueberlieferungen und Vermuthungen betrachten. Können wir auch keine schlagenden und thatsächlichen Beweise gegen die Voraussetzungen anführen, daß seine Jugend unter der Aufsicht eines strengen und harten Vaters nicht überaus erfreulich gewesen sei, daß die Ungunst der väterlichen Gesinnung und des Schicksals durch die Verbindung mit einer sieben bis neun

Jahr älteren, seinem Stande und seiner Befähigung untergeordneten Frau einen gesteigerten Druck auf ihn ausgeübt habe, so müssen wir dennoch auf das Zugeständniß rechnen, daß neben diesem Ungemach ihm Erlebnisse begegnet sind, welche auf die Richtung seiner Ausbildung und seines ganzen Lebens einen überwiegenden Einfluß ausübten. Wir dürfen selbst noch weiter gehen und annehmen, daß, wenn jenes Mißgeschick, wofür nicht einmal untrügliche Beweise vorhanden sind, in der That auf ihm gelastet hätte, die Gelegenheit, angeborne Neigungen und Befähigungen in ihm zu wecken und zu nähren, um so heftiger von ihm ergriffen werden und einen um so stärkeren Einfluß auf ihn haben mußte. Daß unter diesen Umständen seine poetische Stimme völlig geschwiegen haben sollte, ist kaum denkbar, wenn wir auch vermuthen dürfen, daß sie sich nur zu einer geringen Höhe erhoben habe.

Zu dem Allen kommt aber noch ein Umstand von wesentlicher Bedeutung. Malone hat schon in seinem Versuch, eine chronologische Folge der Shakspere'schen Dramen herzustellen, die Vermuthung ausgesprochen, daß Shakspere durch den damals bekannten Schauspieler Thomas Green, einen Provinziallandsmann, möglicher Weise sogar einen Verwandten deffelben, auf der Bühne eingeführt worden sei. Weit lichtvoller und bedeutsamer ist die Nachricht P. Collier's, daß unter den Vorstehern der in Stratford bezeichneten Truppen James Burbadge genannt wurde. Er war, wie aus Collier's Lebensbeschreibungen einiger namhafter Schauspieler aus Shakspere's Zeit abzunehmen ist, der Vater des berühmteren Richard Burbadge, des ersten Schauspielers, der in der Rolle Hamlets auftrat. Dieser Burbadge stammte, gleich mehreren anderen Schauspielern bei der spätern Shakspere'schen Gesellschaft, wie Slye, Hemminge, Tooley, aus Stratford selbst oder aus der Grafschaft Warwick. Nehmen wir nun zu diesen Thatsachen den ferneren Umstand, daß Shakspere im Jahre 1589 in einem Dokumente damaliger Zeit mit Burbadge, Thomas Green und

Nick. Tooley als einer der Theilhaber am Theater zu Blackfriers genannt wird, so bildet sich die Verbindung zu der natürlichsten Schlußfolgerung für seinen aus früheren Jahren stammenden Umgang mit diesen Männern von selbst. Ich will, um nicht den Vorwurf der Einseitigkeit auf mich zu ziehen, Ihnen nicht verschweigen, daß Hunter die vollständige Glaubwürdigkeit des Dokumentes, auf welches sich P. Collier bei dieser Nachricht bezieht, für zweifelhaft hält. Aber seine Auslassung ist nicht mehr als ein Zweifel an P. Collier's Sachkenntniß in diplomatischer Beziehung, wobei er selbst eingesteht, die Urkunde nicht gesehen zu haben. Dagegen sprechen so viele andere, wenn auch spätere Zeugnisse für Shakspere's Genossenschaft mit den genannten Schauspielern, daß selbst die Widerlegung dieses einzelnen Anführens die Sache an sich selbst nicht zweifelhaft machen würde. Auch finde ich sonst nirgends eine Veranlassung, die Theilnahme Shakspere's am Blackfrierstheater um das Jahr 1589 für ungewiß zu halten. Es wird daher nicht für einen zu kühnen Schluß gelten dürfen, wenn man, ohne die beliebte Tradition der Wilddieberei schlechtweg abzuleugnen, mindestens einen Theil der VeranLassung zu Shakspere's Uebersiedelung nach London in seiner schon in Stratford bestehenden Bekanntschaft mit den ausgezeichnetsten Schauspielern damaliger Zeit findet.

Man hat ferner für ziemlich ausgemacht angesehen, daß Shakspere bei seinem Eintritt in London seinen Lebensunterhalt durch Schreiberarbeiten bei einem Rechtsgelehrten erworben habe. Diese Ueberlieferung hat an sich selbst nichts Unwahrscheinliches; sie wird noch annehmlicher durch die meines Wissens nicht widerlegte Vorausseßung, daß er schon während seines Aufenthaltes in Stratford bei einem benachbarten Rechtsgelehrten gearbeitet habe. Selbst L. Tieck, der sonst gegen alle derartige Ueberlieferungen nicht ohne Grund mißtrauisch war, hielt diese Angabe für wahr, wie Sie aus den beiden Erzählungen, welche sich in der Form von Novellen mit Erlebnissen von Shakspere beschäftigen, ersehen können. Auch

hat man sich viel Mühe gegeben, dieselbe aus juristisch-technischen Ausdrücken in seinen Dramen und anderen Dichtungen nachzuweisen. Sie können unter Anderem in N. Drakes ziemlich breitem Werke über Shakspere und seine Zeit eine nicht unbeträchtliche Sammlung solcher Ausdrücke finden. Ich halte zwar diese Beweisführung an sich selbst nicht für erschöpfend genug, um durch dieselbe von den Angaben vollständig überzeugt zu werden. Doch finde ich eben so wenig Grund, denselben zu widersprechen. Es scheint mir aber auch, daß meine Voraussehung von Shakspere's dichterischer Thätigkeit vor 1589 mit dieser Ueberlieferung nicht unvereinbar sei. Wenn auch, wie ich zu vermuthen geneigt bin, Shakspere von alten Bekannten unter den damaligen Schauspielern veranlaßt wurde, mit ihnen nach London zu gehen, so folgt daraus noch nicht, daß er sofort in ihre Gesellschaft eingetreten sei und seine ganze Zeit der Bühne, sei es als dramatischer Schriftsteller oder als Schauspieler, gewidmet habe; und ist es andererseits gegründet, daß er zur Gewinnung seines Unterhaltes bei einem Rechtsanwalt gearbeitet habe, so brauchen wir daraus nicht zu schließen, daß ihm keine Zeit zu schriftstellerischen Arbeiten übrig geblieben sei. Nur so viel ist meiner Meinung nach für unzweifelhaft zu halten, daß ein junger Mann. von Shakspere's Geist und von der Arbeitsamkeit, auf die jeder aufmerksame Leser seiner Stücke schließen kann, in der schönsten Zeit seiner Jünglingsjahre nicht völlig unthätig gewesen sein könne. In meinem nächsten Schreiben werden Sie finden, daß auch die Meinung der meisten Commentatoren nicht so weit, geht, diesen Satz schlechtweg zu leugnen.

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