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dieselbe auf dessen Haupt übertragen habe. Ob diese Uebertragung der Krone von Seiten des neuen Königs erlangt worden sei, ohne einen Vorwurf dadurch auf sich zu laden, kann jezt nicht der Gegenstand unserer Untersuchung sein. Dagegen ist es gewiß, daß in manchen Ländern germanischer Zunge der Gebrauch herrschte, nach dem Tode des Königs der Wittwe die Neuwahl eines Gemals zu überlassen und, unter Vorbehalt der Wahlrechte Seiten der dazu Berechtigten, auf diesen die Krone zu übertragen. Auch ist nicht der mindeste Grund vorhanden, um zu glauben, daß Shakspere, der, wie wir wissen, in den Geschichtsbüchern überaus bewandert war, dieser Gebrauch fremd gewesen sei. Ueberdieß Lag es damals und liegt es noch heute in der Anschauungsweise vieler Engländer, daß in England selbst die LinearErbfolge von dem Vater auf den oder die Erstgeborne, zwar als Gebrauch gestattet, nicht aber als unabänderliches Recht begründet sei. Es ist noch nicht hundert Jahre her, daß diese Frage im Parlament verhandelt und aus politischen Gründen nicht zum Austrag gebracht worden ist. Die Annahme, daß dieser Ausdruck Shakspere entschlüpft sei, ohne daß er das volle Gewicht seiner Bedeutung beachtet hätte, ist bei der Sorgfalt und der wahren Kunst, mit welcher gerade diese Rede ausgearbeitet ist, völlig undenkbar. Dazu kommt daß Hamlet in jeder Stelle, wo er von dem König redet, stets nur seiner Verwerflichkeit gedenkt, niemals aber ausspricht, daß er ihm ein Recht genommen habe, das ihm unzweifelhaft gehöre*). Der Ausfall, den er sich in der 4. Sz. des 1. Aktes gegen den König erlaubt, ist hier kaum anzuführen, weil es nicht über jeden Zweifel erhaben ist, ob mit dem Ausdruck the swaggering upspring ein prahlender Emporkömmling oder ein lärmender Tanz gemeint sei. Wäre aber auch jene Bedeutung richtig, so würde daraus nur folgen können, daß ihm

*) The King doth wake to-night and takes his rouse, Keeps wassel, and the swaggering upspring reels.

der König in der Bewerbung um die Krone zuvorgekommen sei, nicht aber, daß er ihn als den allein Berechtigten zurückgedrängt habe. Nicht mehr folgt aus Hamlets Reden in der Nachtszene mit der Mutter, wo er sagt:

a vice of King

A cutpurse of the empire and the rule,
That from a shelf the precious diadem stole
And put it in his pocket.

Nach Schlegel-Tieck:

Ein Hanswurst von König,

Ein Beutelschneider von Gewalt und Reich,

Der weg vom Sims die reiche Krone stahl,
Und in die Tasche steckte.

Selbst wenn Hamlet hier mehr sagte, würde kein bestimmter
Beweis durch diese, in äußerster Leidenschaft herausgestoßenen
Worte gegeben sein. Doch nehmen wir sie auch in der ganzen
Ausdehnung ihrer Bedeutung, so können wir nicht mehr her-
auslesen, als die Meinung, daß der König in verwerflicher
Weise die Krone erworben habe.

Am Wichtigsten sind die Worte Hamlets in der 2. Szene des V. Aftes:

Does it not, think thee, stand me now upon

He that hath kill'd my king, and whor'd my mother;
Popp'd in between th' election and my hopes:
Thrown out his angle for my proper life,

And with such cozenage is't not perfect conscience,
To quit him with this arm?

Nach Schlegel - Tieck:

Was dünkt Dir, liegt mir's jeßo nah genug?
Der meinen König todtschlug, meine Mutter
Zur Hure machte; zwischen die Erwählung
Und meine Hoffnungen sich eingedrängt,
Die Angel warf nach meinem eignen Leben
Mit solcher Hinterlist: ist's nicht vollkommen billig,
Mit diesem Arme dem den Lohn zu geben?

Ich wüßte nicht, wie man aus dieser auch in anderer Hinsicht wichtigen Stelle auf eine andere Meinung schließen

könnte, als daß Hamlet auf seine Erwählung hätte rechnen. können, wenn nicht sein Oheim in hinterlistiger Weise ihm zuvorgekommen wäre. Zum Ueberfluß könnte man noch auf die am Schluß eintretende Wahl des Fortinbras, die durch des sterbenden Hamlet Wort ausdrücklich begünstigt wird, hinweisen, um dadurch die Behauptung zu stüßen, daß wir bei dem hier vorgestellten Königthum an ein Wahlreich zu denken. haben, in welchem aber, wie dieß nicht selten in alten germanischen Staaten der Fall war, die Wählbarkeit sich auf die Mitglieder eines gewissen Hauses oder Stammes beschränkte. Es versteht sich, daß der Einwurf, als sei nicht genau nach den Worten des Dichters zu gehen - eine Bemerkung, die mir allerdings zu Ohren gekommen ist -namentlich bei diesem mit sichtlichem Fleiße und Anstrengung ausgearbeiteten Werke in keiner Weise statthaft sein könnte.

Doch warum ich gerade diese Frage so weitläufig behandele? so könnten Sie vielleicht fragen, indem Sie meinten, daß ich dadurch eine mildere Beurtheilung des Königs vorbereite. Sie werden dagegen im Verlauf unserer Unterhaltung die Ueberzeugung gewinnen, daß die Lage Hamlets nicht allein, sondern auch das Verhältniß der sämmtlichen Umgebungen nach diesen Prämissen ein ganz anderes wird, als wenn wir annehmen, daß er als vollberechtigter Thronerbe nur nöthig gehabt haben würde, seinen Anspruch geltend zu machen. Hätte er das bei dem Tode seines Vaters versäumt, so würde ein weit größerer Vorwurf der Schwäche auf ihn lasten, als in dem von mir angenommenen Verhältniß. Auch würde nach der Enthüllung des Geheimnisses seine Lage weit weniger verwickelt gewesen sein. Doch davon werden wir genauer in der Handlung sprechen.

Zu dieser Eigenthümlichkeit dieser Verhältnisse tritt ferner noch der Umstand hinzu, daß, troß der mit den englischen Zuständen damaliger Zeit übereinstimmenden Färbung in den geselligen Gebräuchen und Gewohnheiten des Stückes, das Wesen dieses Königthumes ein ganz anderes ist, als das des

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englischen. Wer könnte bei diesem König Claudius und seinen Umgebungen an einen Heinrich IV., einen Heinrich VI. oder an einen König Johann denken? Der patriarchalische Ton, der damals noch durch alle Monarchien germanischer Staaten ging, klingt allerdings auch hier zuweilen an. Aber er ist wesentlich abgeschwächt durch eine dynastisch absolutistische Schattirung, und diese Abweichung von dem Wesen, das alle historischen Stücke Shakspere's bezeichnet, theilt sich selbst den geselligen Beziehungen mit. Nur mit Heinrich VIII. haben diese Zustände eine leise Aehnlichkeit. So hat es Shakspere verstanden, in diesem Bilde die Zeichnung und das Colorit so künstlich anzulegen und auszuführen, daß uns dasselbe in der einen Beziehung fast in die Gegenwart gerückt wird und in anderer Hinsicht unsere Augen in eine unbestimmte Ferne zu blicken glauben. Es ist die meisterhafteste Verbindung des wirklich Bestehenden mit den Träumen einer märchenhaften Welt.

Hier gilt es begreiflicher Weise, bei dem Urtheil über Charaktere und Gesinnungen die äußerste Vorsicht zu gebrauchen, und diese Anforderung tritt noch mehr in den Vordergrund, indem sich neben einer Fülle von Begebenheiten die tiefsinnigsten Betrachtungen an uns herandrängen. Gewiß ist es nur ein Mißverständniß, wenn Gervinus in der schon angeführten. Stelle einen Mangel an äußeren Ereignissen in diesem Trauerspiele wahrnehmen will. Aber in der Art, wie sie vertheilt sind, liegt allerdings eine Schwierigkeit mehr, um die Fassung zum Urtheil zu behalten. Die Ueberwindung Norwegs, die schnelle Vermälung der Wittwe nach dem plötzlichen Verlust des Gatten, die empörende Art, wie dieser Gatte ermordet worden ist, das Alles stellt sich als so große und gewaltige Begebenheiten vor dem Beginne der Handlung dar, daß unsere Imagination davon allzusehr erfüllt ist, um die vor unseren Augen vorgehenden Ereignisse in ihrem vollen Gewichte zu betrachten, und doch liegt gerade in dieser Anordnung, wie wir am Schluffe sehen werden, die tiefsinnigste Bedeutung und .

höchste Kunst. Nur weil wir gewohnt sind in einer Tragödie die Leidenschaften in Bewegung zu sehen, hier aber dieselben unter dem Schein der Reflection sich verhüllen, glauben wir, wie Schlegel sich ausdrückt, ein Gedankentrauerspiel vor uns zu sehen. Ich hoffe, Ihnen nachzuweisen, daß es sich nur um eine andere Gestaltung der Leidenschaften handelt. Zu diesem Zwecke lassen sie uns zu der Handlung selbst übergehen.

XI.

Handlung. Hamlets Gesinnung in derselben bis zu dem Monologe Sein oder nicht sein ".

Verehrter Freund!

Als wir in unserer ersten Unterhaltung die Quelle des Dichters betrachteten, bemerkten wir schon, daß in der dramatischen Ausführung derselben nur wenig davon übrig geblieben war. Jezt möchten wir sie fast vergeffen, um uns ganz in den Hamlet Shakspere's zu vertiefen, wogegen wir später wieder darauf zurückkommen müssen, um uns über die Intentionen des Dichters und das Gelingen derselben Rechenschaft zu geben. Deswegen hielt ich es für zweckmäßiger, die Quelle an die Spitze unserer Besprechungen zu stellen und erst am Schluffe wieder daran zu erinnern, wogegen ich befürchtet haben würde, die Darstellung durch eine bald dahin, bald dorthin gelenkte Betrachtung und Vergleichung zu verwirren, wenn ich die Erzählung des Märchens nach der Quelle mit der Fabel, welche der Tragödie zu Grunde liegt, verbunden. hätte.

Von dem magischen Eindruck, welchen wir bei der Eingangsszene empfinden, brauche ich Ihnen nicht noch einmal zu

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