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es gehört nur wenig Kenntniß von Shakspere dazu, um zu wissen, daß einzelne Stücke, wie Heinrich VIII. und Macbeth wahrscheinlich auch Troilus und Cressida geradezu darauf berechnet waren, vor diesem eifrigen Beschüßer von Kunst und Wissenschaft aufgeführt zu werden. Auch in den Palästen und Schlössern angesehener Edelleute wurden viele Lustspiele und Tragödien Shakspere's vor einer auserlesenen Gesellschaft dargestellt. Wie immer auch die besondere Beziehung und Bedeutung des Sommernachtstraumes erklärt werden mag, so kann man sich von der Meinung nicht trennen, daß dieses dramatische Kunstwerk ursprünglich für einen bestimmten Kreis von Zuschauern abgefaßt worden ist. Hieraus geht zur Genüge hervor, daß, abgesehen von den Erfolgen, welche Shakspere's Schauspieler im Blackfriarstheater oder im Globus gehabt haben, ihnen aus den gebildetsten Kreisen der Gesellschaft die gültigsten Zeugnisse einer hohen Kunstfertigkeit ausgestellt werden konnten. Doch liegt nicht einmal die Wahrscheinlichkeit vor, daß die öffentlichen Theater nur von Ungebildeten besucht worden seien. Welche Einwendungen auch aus einer oberflächlichen Beurtheilung damaliger Bildungszustände abgeleitet werden mögen, so wird es nicht möglich sein, diejenigen Gründe zu entkräften, die in der Sache selbst liegen.

Wenn es möglich war, daß die tiefsinnigsten Schöpfungen Shakspere's allgemeinen Beifall erlangen konnten, so ist es undenkbar, daß sich das Publicum damaliger Zeit im Zustande der Unbildung oder gar der Rohheit befunden habe. Daß Richard III., Romeo und Julia, Heinrich IV. und Hamlet gleich mehreren anderen Tragödien Shakspere's eine allgemeine Beliebtheit gehabt haben, beweist die Thatsache ihres wiederholten Abdrucks um so mehr, da derselbe nur mit Schwierigkeit auszuführen war, und daß auch alle anderen Stücke Shakspere's, wenn sie gleich seltener oder vorder Folioausgabe gar nicht abgedruckt wurden, wie Othello, Macbeth, Cymbeline, Julius Cäsar und Coriolan, stets einen größeren Zulauf hatten als die anderer und selbst die des gelehrteren Ben Jonson, dafür

haben wir die untrüglichsten Zeugnisse von Zeitgenossen. Wie sollte man sich nun vorstellen können, die Gesammtheit habe sich nur an den sogenannten Kraftstellen, die freilich von manchen Betrachtern unseres Dichters oft genug für die eigentlichen Wahrzeichen seines Genies ausgegeben worden sind, oder es habe sich nur an den burlesken Nebenwerken ergözt, ohne von der Größe der ganzen Erscheinung ergriffen zu werden? Oder wollte man gar glauben, die damaligen Schauspieler haben das rohe Gefühl damaliger Zeit nur mit gespreiztem Gebärdenspiele und übertriebenem Bombast in der Darstellung gewonnen, dann müßte man vor allem Anderen diesen Hamlet vergessen. Ihrem ganzen Gehalte nach verträgt keine Rolle weniger alles Unnatürliche und Gezwungene. Noch weniger ist an irgend einer Stelle auch nur die kleinste Uebertreibung im Ausdruck der vorgeschriebenen Worte und Empfindungen erträglich, weil sie eines Theils recht eigentlich auf der entschiedenen Abneigung gegen alles Unnatürliche und Unwahre beruht und andern Theils bei der krankhaften Gereiztheit gegen alles Unschöne in sittlicher wie geselliger Hinsicht an die äußersten Grenzen des Unnatürlichen streift. Diese Feinheit der Auffassung und Ausarbeitung mimisch wiederzugeben, erfordert meines Erachtens die äußerste Verläugnung aller kleinlichen Kunstgriffe und künstlichen Veranstaltungen. Nur wenn die größte Virtuosität, die ausgedehnteste Herrschaft über alle materiellen Mittel sich mit der tiefsten Jnnigkeit der künstlerischen Begeisterung völlig vereint hat, kann diese Aufgabe glücklich gelöst werden. Bei keiner Rolle unseres Dichters haben wir ein bestimmteres Anhalten darüber, daß er gerade eine solche Befähigung des darstellenden Künstlers vorausgesezt hat. Wenn Prinz Hamlet den Schauspielern die auch damals nicht unbekannten Uebertreibungen und Unarten anderer ihres Gleichen als höchst abscheulich und verächtlich darstellt, wenn es ihm gelingt, das tiefste Geheimniß der ganzen Schauspielerkunst in den schärfsten Linien mit wenigen Worten auszusprechen, dürfen wir wohl mit Zuversicht annehmen, Shak

spere habe sich diese Rolle in den besten Händen gedacht. Daran zu denken, daß ein damaliger Schauspieler der Shakspere'schen Gesellschaft bei der Rolle des Hamlet in demselben Augenblicke, wo er jene Worte äußert, sich selbst wie ein Termagant oder schlimmer als ein Herodes gebärden könne, oder sich vorzustellen, daß die Zuhörerschaft damaliger Zeit einem derartig zu Grunde gerichteten Hamlet Beifall geschenkt haben sollte, das wird, wie ich vermuthe, Niemand gelingen, ohne die lächerliche Abgeschmacktheit zu fühlen, die in einer solchen Vorstellung liegen würde.

Es würde mich nicht überraschen, wenn Sie mir vorhielten, es scheine als wolle ich dem ersten Darsteller des Hamlet als Bühnenkünstler eine eben so erhabene Stelle einräumen als Shakespere in seiner Eigenschaft als Dichter verdiene. Wenn ich die ganze Ausdehnung der Aufgabe in Verbindung mit den hervorragendsten Zügen damaliger Zeit betrachte, kann ich allerdings kaum eine andere Meinung haben. Darin, glaube ich, werden Sie mit mir übereinstimmen, daß es ungemein schwer ist, sich von den Zuständen des geistigen sowohl als des materiellen, des politischen und des sozialen Lebens in England während der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts ein abgerundetes Bild zu machen. Nicht die Mannichfaltigkeit der Lebenserscheinungen ist es allein, was uns verwirrt. In eben so hohem, ja vielleicht in noch höherem Grade wird unser Urtheil durch die Wahrnehmung der schroffsten Gegensäße nicht selten um so mehr befangen, als wir sie zuweilen nicht blos neben einander, sondern auch einen durch den andern bestehn sehen. Dieß gilt in Bezug auf alle verschiedenen Kreise. Denn gleichwie in politischer Hinsicht neben den Erscheinungen des stärksten Absolutismus sich die äußerste Freiheit und Unabhängigkeit der Meinungen geltend macht, meldet sich in kirchlicher Beziehung der puritanische Eifer als Widersacher der Mäßigung in der bischöfflichen Kirche, im sozialen Leben stehen der Ungebundenheit patriarchalischer Sitten und Gebräuche die überspanntesten Forderun

gen einer neuen Sittenlehre von ascetischer Strenge gegenüber, und während alle Standesverhältnisse in den strengsten. Regeln geschloffen scheinen, besteht dennoch unter den Mitgliedern verschiedener Stände ein weit freierer Verkehr, als in andern, dem Scheine nach vorurtheilsfreieren Zeiten. Noch können wir hinzufügen, daß neben den unläugbarsten Zeugnissen eines nicht blos ernsten, sondern selbst in vieler Hinsicht aufgeklärten Strebens nach wissenschaftlicher Bildung ein unüberwindlicher und in einzelnen Fällen sogar gefährlicher Hang zum Aberglauben seinen Tribut verlangt. Auch das ist auffallend, (daß in Kleidung, Ausdrucksweise und anderen Aeußerlichkeiten die Laune der Mode eine bedeutende Rolle spielt, und dennoch von der tyrannischen Herrschaft der Convenienz, die das ganze Jahrhundert Ludwig XIV in Frankreich bezeichnet und im heutigen England eine große Gewalt ausübt, kaum einzelne Spuren zu bemerken sind.

Gewiß ist es, daß unter solchen Umständen sich die rein individuelle Kraft und Selbstständigkeit des Einzelnen sowohl als der verschiedenen Gliederungen der Gesellschaft und Nation am meisten ausbilden und geltend machen. Gewiß ist es ferner, daß gerade Shakspere ohne diese Zustände kaum denkbar, und ohne ihre Kenntniß nicht verständlich ist. Denn gleichwie in einer solchen Zeit jede Frage, jede Richtung des Geistes erlaubt, ja fast geboten scheint, gleichwie es der menschlichen Seelenthätigkeit und dem geistigen Streben gestattet scheint, nach den äußersten Grenzen der Befähigung hinauszugreifen, so bemerken wir auch bei ihm eine so große und ausgedehnte Freiheit in seinen geistigen Bewegungen und Anschauungen, daß wir keinen anderen Vergleichungspunkt für ihn haben, als die wunderbaren Zustände seiner Zeit; ein gedrängtes Bild von allen Bedingungen und Erfordernissen, aus denen sich die erhabensten Perioden der Weltgeschichte construiren. So gewiß aber dieser Gewinn, und so groß auch diese Gunst der Umstände ist, so gewichtig sind zugleich die Schwierigkeiten, eben so groß sind die Gefahren der Verirrung und des Untergangs der schönsten Kräfte

und Erscheinungen. Wir brauchen nicht weit nach Beweisen für diese Aufstellung zu suchen, wenn wir uns der seltsamen und bis zur Karikatur verschrobenen Gestalten einer falschen Originalität und eingebildeten Selbstständigkeit erinnern, von denen in Shakspere'schen und andern Stücken damaliger Zeit genug Beispiele vorkommen, und wenn wir auf das Ende blicken, auf welches wenige Jahre nach Shakspere's Tode der bedeutendste der Gegensäße im englischen Leben hinauslief. Dieselben Gefahren, welche wir an der Gesammtheit verwirklicht sehen, stehen dem Einzelnen in solchen Zuständen nahe, und Sie werden nicht den Nachweis darüber erwarten, daß diese Gefahren mit der Erhabenheit des Standpunktes, den der Einzelne einnimmt, wachsen müssen. Um mich nicht in die Aufzählung der möglichen Verirrungen zu verlieren, will ich Sie nur daran erinnern, daß in dem von Shakspere verfolgten Berufe das gänzliche Absein einer Schule, eines leitenden Musters und Vorbildes, ja selbst der bestimmte Anhalt für das, was Beifall erregen und die Meinungen gewinnen konnte, oft genug für einen großen Vortheil angesprochen worden ist. Aber es liegt in dieser Gestaltung der Aufgabe auch eine weit höhere Schwierigkeit, als gewöhnlich bemerkt wird, weil der Erfolg einer gelungenen Bestrebung auf solchem Boden mit so großer Gewalt auf uns wirkt, daß wir der Beurtheilung der überwundenen Schwierigkeit und dem Anschauen der vermiedenen Gefahren völlig entrückt werden. Ich glaube, daß gerade in diesem Umstande ein Beitrag zu der Erklärung vieler Mißverständnisse über Shakspere liegt; mindestens ist es mir häufig aufgefallen, wie uns eine verfehlte Auslegung, noch mehr eine voreilige Aenderung einzelner Stellen oder ganzer Stücke von Shakespere, darauf hinführt, zu bemerken, was der große Dichter in der Tiefe seiner Anschauungen hat vermeiden wollen, oder wie groß die Kunst war, mit welcher er eine große Schwierigkeit gelöst hat. Wir werden im Verlauf unserer Betrachtungen mehreren Beispielen davon begegnen.

Konnten aber die Shakspere'schen Dichtungen nur unter

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