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noch jezt ein Bleistift mit Leichtigkeit sich spißen läßt. Hierzu gesellen sich dann Werkzeuge der mannigfaltigsten Form, die man bald als Hämmer, Meißel, Sägen u. s. w. zu deuten geneigt ist, manche mit Erdpech an Handhaben befestigt; dann Knochen verschie dener Thiere zu den Bedürfnissen des täglichen Lebens verarbeitet, zu Nadeln und Pfrie men; endlich riesige Eber- und Bärenzähne, zugeschärft und durchbohrt, ohne Zweifel als Schneidewerkzeug, vielleicht auch als Schmuck und Amulet verwendet. Erzeugnisse der Töpferei finden sich in zahlreichen Bruchstücken, oft von beträchtlicher Größe der Gefäße zeugend. Sie sind sämmtlich ohne Drehscheibe aus rohem mit Quarz- oder Muschelstücken, zuweilen auch mit Kohlenstaub untermengtem Thon gearbeitet, nur spärlich verziert, außen hin und wieder mit Graphit polirt. Dies ist der Befund in den ältesten, im Allgemeinen östlich gelegenen Localitäten. In den westlichen dagegen sehen wir neben diesem unvollkom menen Material, dasselbe allmälig verdrängend, Metall und zwar Erz auftreten. Die daraus gefertigten Geräthschaften sind höchst mannig

sich unter Anderm durch eine schwärzliche, offenbar von der Vermoderung organischer Stoffe herrührende Färbung, vor Allem aber durch eine große Anzahl von Ueberresten eines frühern Culturlebens aus. Wir können mit Gewißheit annehmen, daß diese Schicht sich während des Bewohntseins der Pfahlbauten niederschlug und so allmälig Abfälle aller Art in sich begrub; sie hat deshalb auch den Namen der Culturschicht erhalten. Sie allein birgt Ueberreste. Die darüber gelegene Schicht dagegen gehört der Periode nach der Zerstörung dieser Ansiedlungen an, wo also Schlamm und Sand wieder in ungestörter Weise sich ablagerte. Die unterste Schicht ist der alte Seeboden. Grade in diesen Verhältnissen finden wir den Beweis, daß die ganze Anlage gleich ursprünglich im See gestanden und nicht etwa erst später durch Hebung der Wasserfläche unter Wasser gesezt worden. Ohnedies wäre Lezteres bei der weiten Verbreitung dieser Wohnungen eine höchst gewagte Annahme. Der Abstand vom Ufer wechselte, je nach ihrer Steilheit und der dadurch bedingten Tiefe des Sees. Die Verbindung mit dem Lande ge-faltig, für alle Bedürfnisse des Lebens, für schah durch Brücken oder durch (ebenfalls auf gefundene) Kähne, einfach ausgehöhlte Baum stämme, Canots, wie sie noch jezt bei vielen Völkern gebräuchlich sind. Von höchster Be deutung ist die Culturschicht durch die große Zahl der in ihr begrabenen Geräthschaften. Im Allgemeinen stimmen dieselben überein mit denjenigen, die man in alten Gräbern über fast ganz Europa ausgebreitet gefunden bat. Als charakteristisches Werkzeug findet sich auch hier in mannigfacher Form das Steinbeil, aus dem festen, zähen Gestein der Umgegend gefertigt. Feuerstein kommt aus leicht ersichtlichen Gründen seltener vor als in den Gräbern der nördlichen Länder, dagegen auffallender Weise in mehreren Erem plaren Nephrit, Beilstein, ein orientalisches Mineral, das nur durch Handelsverbindung in diese entlegenen Gegenden gelangen konnte. Für die Art und Weise der Fabrication liegt eine ganze Musterkarte von allen Stadien der Vollendung, vom rohen Gesteine bis zum vollendeten Beile vor. Und ebenso die ganze Reihe der rückschreitenden Entwicklung in allen Graden der Abnugung, des erneuten Zuschleifens, der vollständigen Unbrauchbarkeit. Daß übrigens ihre Leistungsfähigkeit größer war, als wir wohl anzunehmen geneigt sein möchten, beweisen die Exemplare, mit denen

Krieg und Frieden berechnet; viele ausges
zeichnet durch die Schönheit und Vollendung
ihrer Form, alle aber mit sichtlich keltischem
Charakter. Besonders auffallend ist der Um-
stand, daß nicht zwei der gefundenen Werk-
zeuge die gleiche Gußform besißen. Mit der
höhern Entwicklung hält auch das Töpfer-
geschirr Schritt; es wird zierlicher und reicher
an Ornamenten. An einigen Orten finden
wir außerdem auch eisernes Geräth der man-
nigfaltigsten Art. So liegt uns denn in
continuirlicher Reihe der ganze Entwicklungs-
gang der Cultur vor: wir finden auch hier,
wie sonst überall die Aufeinanderfolge einer
Stein-, einer Erz- und einer Eisenperiode.
Für das Alter der Ansiedlungen selbst lassen
sich hieraus freilich noch keine Schlüsse ziehen,
da die gegebene Eintheilung nur eine relative
sein kann. Die Civilisation erreicht eben
nicht überall gleichzeitig dieselbe Höhe, sie
breitet sich vielmehr von gewissen Mittel-
punkten zu immer größern Kreisen aus.
gleicht einem Berge, der von einem höchsten
Punkte aus, hier mehr allmälig, dort in ra
schern oft sprungweisen Abfällen in die Ebene
übergeht. Immerhin läßt sich aber so viel doch
mit Gewißheit behaupten, daß diese sämmt-
lichen Bauten wesentlich der vorhistorischen
Zeit angehören. Es gilt dies vor Allem für

alle östlichen Gegenden, wo die Pfahlbauten der Länge nach künstlich zersägt, theils zu

noch vor, oder jedenfalls während der Erz periode ihr Ende erreichten, während dagegen andere, zumal westlicher gelegene, nicht allein diese, sondern auch die darauf folgende Eisenzeit überdauerten und mit ihren lezten Ausläufern sogar in die Römerzeit hinein reichten. Für das Erstere spricht der Mangel des Erzes und Eisens in den Ansiedlungen, für das Leztere das Vorkommen römischer Ziegel und römischer Geräthschaften, was sonst sich nicht leicht erklären ließe. Auch über die Bewohner kann kein Zweifel sein; es war ein Zweig des großen keltischen Stammes, der auch hier in den Geräthen und Verzierungen die Eigenthümlichkeiten seines Charakters bewahrt hat. Offenbar war es das Gefühl größerer Sicherheit, was die Einwohner zur Wahl so eigenthümlicher Behausungen bewog. Vor wilden Thieren sowohl als vor Feinden ließ die Wasserburg sich leichter vertheidigen. Mit dem Fortschritte der Ent wicklung, mit der Bebauung, dem Offenerwerden des Landes wurden jene zurückgedrängt; ein geordneteres Staatsleben bildete sich aus und machte die in manchen Beziehungen gewiß höchst unbequemen Wasserwohnungen über flüssig, so daß ihre Bewohner gern auf die gastlicheren Ufer übersiedelten. Wir dürfen uns indeß nicht vorstellen, als ob die ganze Bevölkerung auf diese Weise gewohnt hätte. Auch das Festland war in gleicher Weise bevölkert und wenn hier Ueberreste seltener sind, so ist der Grund einfach in ihrer Zerstörung durch die spätere Bebauung des Landes zu suchen. Menschliche Ueberreste sind selten; die Leichen wurden wohl an's Land geschafft, doch ist ein Begräbnißplaß noch nicht gefunden worden.

Wollen wir uns ein Bild von der Lebensweise dieser Ureinwohner entwerfen, so würden wir sehr irren, auch während der Steinperiode uns dieselben im rohesten Naturzustande zu denken. Auf Jagd und Fischfang waren sie allerdings zunächst angewiesen und zahlreiche | Knochenüberreste sind die Zeugen ihrer Beute. Riesige Hirsche und Schweine, unter leßteren besonders zahlreich eine jezt ausgestorbene Art Bär, Auerochs und Urochs sind es vor Allem, die unsre Bewunderung erregen. Die Geweihe der Hirsche sind großentheils zerhackt und verarbeitet, die Knochen zerbrochen, viele

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industriellen Zwecken, theils zur Gewinnung des leckern Markes. Außerdem waren mächtige Hechte eine Zierde der Tafel. Der Hund muß erwähnt werden und zwar hat sich bis jezt überall nur eine dem Jagdhunde nahestehende Art gezeigt. Auch unsre Hausthiere, die Kuh, die Ziege, das Schaf, sind reichlich, das Pferd dagegen nur höchst spärlich vertreten, und mit ihnen ein neues Element, das Hirtenelement, eingeführt. Ja selbst der Ackerbau fehlt nicht. Weizen und Gerste finden sich verkohlt in trefflicher Qualität und der kohlige Ueberzug im Innern mancher Töpfe läßt unzweifelhaft seinen Ursprung von Getreide erkennen. Nehmen wir hierzu noch die Verfertigung der Geräthschaften, welche theilweise bereits von nicht geringer Geschicklichkeit zeugen, so sehen wir bereits das Princip der Theilung der Arbeit, der Anfang jeder höhern Civilisation, entwickelt. Hanf und Flachs wurde gebaut und zu Matten, Schnüren, u. s. w., die theilweise noch erhalten sind, geflochten. Um den Spei= sezettel zu vervollständigen, dürfen wir noch der häufig geviertheilten Holzäpfel und Holzbirnen, der aufgeknackten Haselnüsse, der Ueberreste von Schlehen und Himbeeren nicht vergessen, die in großer Menge vorgefunden werden und offenbar als beliebte Zukost geschäzt wurden.

Wir haben bereits angeführt, wie im Verlaufe der Zeit diese Bauten eingingen. Ueber deren Ende kann in den meisten Fällen kein Zweifel obwalten. Die verkohlten Früchte und Balken, die angebrannten Bretter beweisen deren Zerstörung durch Feuer, das wohl oft durch Zufall, oft durch Feindeshand angelegt sein mochte.

So auffallend dieses ganze Culturleben uns anfangs scheinen mag, so steht es doch nicht vereinzelt da. Bei manchen wilden Völkerschaften sehen wir noch heute ganz ähnliche Verhältnisse und schon Herodot erzählt von asiatischen Völkerschaften, die mitten im See in auf Pfählen stehenden Hütten wohnen, die ihre Pferde und ihr Lastvieh mit Fischen nähren, ihre kleinen Kinder, damit sie nicht herunterrollen, an einem Fuße vermittelst eines Strides festbinden, und bei denen ein Mann für jede Frau, die er heirathet, drei neue Pfähle einzurammen hat.

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Karl der Große. Der Foriste pl

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In trüben Tagen, wie sie jest einmal
wieder über uns gekommen sind, will es den..
Verzagten oft so scheinen, als habe ein heim-
tückisches Schicksal sie in eine Zeit gestellt, die
die schlimmste unter den schlimmen sei. Es
kann da leicht geschehen, daß die Verstimmung
selbst auf die Muthigen übergeht, namentlich
wenn Verwicklungen entstehen, die nicht ge-
löst werden können, ohne daß man hier oder
dort tief in lebendiges Fleisch einschneidet.
Ist die Zeit gar eine Zeit des Uebergangs,
die das Werdende in unbestimmten Umrissen
zeigt und über das Vergehende einen ver-
klärenden Schimmer breitet, so sprechen Tau-
sende von einer Periode des Niedergangs
oder rufen nach einem großen Manne, welcher
der Retter der Gesellschaft werde. Gern
flüchtet man dann in die Geschichte und sucht
zu seinem Troste nach ähnlichen Zeitepochen.
Sucht man recht, so wird man den Trost
finden. Man wird sich überzeugen, daß jeder
geschichtliche Uebergang zugleich ein Gährungs-
proceß ist, der seinen naturgemäßen Verlauf
haben will und nicht im Augenblicke beendet
werden kann. Eben so wird man finden,
daß noch keiner bedeutenden Zeit ein bedeu-
tender Mann gefehlt hat, in dessen mächtigem
Haupte die neuen Gedanken zu Thaten ge-
reift sind. Sonach wird ein richtiges Ver-

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Monatshefte, Bd. IX. Nro. 49.

ständniß der Geschichte eine Verzweiflung an der Gegenwart nicht aufkommen lassen. Es hat trübere, drangvollere Tage als die unsrigen gegeben und schließlich ist doch Alles zum Guten ausgeschlagen. In eine der trübften Zeiten, die durch einen großen Mann zu einer der glorreichsten wurden, sollen die nachfolgenden Zeilen unsere Leser einführen. Es ist Carolus Magnus, der große erste Kaiser deutscher Nation, mit dem wir uns beschäftigen werden.

Aus den frühesten Erinnerungen der Völ ker pflanzt sich durch allen Wechsel der Zeiten | das Gedächtniß von Helden fort, welche in ihrem Leben Großes vollbrachten, und indem sie mit mächtiger Kraft einer ganzen Zeit den Stempel ihres Geistes aufdrückten, hinwiederum selbst die Träger und Abbilder eines ganzen Zeitalters wurden. Auf die Schultern eines solchen Helden legt dann die Sage des Volkes alles Große, was einst theils unter dessen Führung, theils noch lange vorher und nachher vom Volke gethan und geschaffen worden ist; auch seine Einrichtungen, seine Rechte und Sitten, seinen Glauben und seine ganze Bil dung will es mit dankbarer Pietät von ihm empfangen haben. Als solche Menschen von übermenschlichem Verdienst und Ruhm, weßhalb man sie auch für Göttersöhne hielt, dachten sich die Alten ihre frühesten Könige und Gesetzgeber. Eine ähnliche heroenartige Stellung hat bei den germanisch romanischen Völkern, während des ganzen Mittelalters, ja bis auf den heutigen Tag Karl der Große ein genommen. Wie einst der dorische Herakles für die alten Heiden, ist dieser fränkische Held | für die abendländische Christenheit gleichsam ein ökumenischer Held geworden. Sein weiter Sagenmantel reicht noch viel weiter als sein weites Kaiserthum reichte, bis in den Orient, und wie einst der lebende Kaiser gegen allerlei Ungläubige kämpfte, so zieht der sagenhafte noch vierhundert Jahre später an der Spize der Kreuzfahrer in das Morgenland. So hat einst der Held Herakles alle Kriege seines Volkes geführt, dessen schwerste Arbeiten verrichtet, dessen weiteste Fahrten gemacht. Und wie einst der griechische Heros den Glauben seines Volkes erhoben und verherrlicht und alle Griechen durch Stiftung der Olympischen Spiele zum Dienste seines göttlichen Vaters vereinigt hat, so erscheint auch der Held Carolus allenthalben als der fromme Verbreiter und Pfleger der Kirche, in deren Dienst und Ehren sein Haus und sein fränkisches Stamm:

volk zur Herrschaft aufstieg. Doch auch die weltlichen Dinge, Recht und Gesez des Volkes, Verfassung des Reiches und Eintheilung des Landes, der Gau und die Mark, die Herzöge, die Grafen und Richter, Alles dies hat Karl der Große geordnet und festgeseßt. So ist er gleichsam der germanische Theseus. Von seinem Richteramte erzählen uralte Sagen. Nach seinem Namen nannte man Maß und Gewicht. Auf ihn berufen sich die deutschen ̈ Rechtsbücher des Mittelalters. In seinem Namen tagte die heilige Vehme; und am Schwerte Caroli magni hängt noch heute der ganze Stolz des westfälischen Hofbauern, den uns Immermann schilderte.

Denken wir uns nun den Fall, daß die Sage von Karl dem Großen sich unter den germanischen Völkern mit derselben Freiheit und ursprünglichen poetischen Kraft hätte entfalten können, wie jener reiche Sagenkreis der frühern, minder bedeutenden, aber noch im Dämmerlicht der Geschichte stehenden Heldengestalten, denken wir uns überhaupt wie bei den alten Griechen jede nähere historische Kunde unsrer Vorzeit, jede gleichzeitige Geschichtschreibung und mit derselben endlich auch das Christenthum hinweg; erinnern wir uns, daß auch die germanischen Helden und Könige in heidnischer Zeit gleich den Helden des Alterthums ihre Stammtafeln von den höchsten Göttern herleiteten, so dürfen wir kaum be zweifeln, daß Karl der Große unsre Mytho= logen als der liebste und stärkste Sohn Wodan's, vielleicht als eine heldenartige Vorstellung des Götterfürsten selbst beschäftigen würde, wie sich denn in der That im Volke an verschiedenen Orten die Spuren einer solchen Verschmelzung mit Wuotans Culten bei ihm gleich wie beim Kaiser Barbarossa vorfinden.

Insofern würde Karl der Große durch Sage. und Heidenthum noch gewonnen haben, aber doch nur, um vielleicht Alles wieder zu ver lieren, sobald der kritische Geist, vor dem jezt selbst die historisch beglaubigten Gestalten keine Stunde ihres Lebens sicher sind, sich seiner bemächtigt hätte. Wenn es Leute geben soll, welche Luther, ja selbst Napoleon I. für einen Mythus halten, was sollte dann erst aus Karl dem Großen werden?

Als hätte er eine Vorahnung dieser ihm drohenden Gefahr gehabt, hat der große Kaiser selbst dafür gesorgt, daß, während der dich tende Volksmund ihn verherrliche, doch auch die wissenschaftliche Erkenntniß nicht fehle und bei Zeiten das fast erloschene Licht wieder an

gezündet werde, welches uns nach tausend Jahren in den Stand seßt, seine Riesengestalt, als stehe sie noch leibhaftig vor uns, mit prü fendem Blicke etwas genauer zu betrachten.

II.

Es sind drei Arten von gleichzeitigen Quellen schriften, auf denen die historische Kunde von Karl dem Großen beruht. Erstens die kurzen Auszeichnungen einiger Schriftsteller über Leben und Thaten des Kaisers; namentlich die schöne Lebensbeschreibung Karl's aus der Feder seines Günstlings Einhard, und die demselben Ver fasser zugeschriebenen Annalen, sowie die Jahrbücher des Klosters Lorsch. Freilich lassen uns diese Quellen über die wichtigsten Dinge, 3. B. über die Jugendgeschichte des Kaisers, über die Anfänge seiner Herrschaft und das Verhältniß zu seinem früh verstorbenen Bruder und dessen Familie, über die innere Bewandtniß, die es mit seinen Kriegen, mit seinem Verhältniß zum römischen Bischof, endlich mit seiner Kaiserkrönung hatte, fast gänz lich im Dunkeln. Theils wußten sie nichts davon, theils brachte es die kurze Form ihrer Aufzeichnungen mit sich, welche mehr eine Angabe der fertigen Thatsachen, als eine pragmatische Entwicklung derselben bezweckte, die als bekannt vorausgesezt wurde und überhaupt erst einer höhern Stufe der Geschichtschreibung angehört; zum Theil auch mochten die Verfasser als Männer, die dem Kaiser persönlich sehr nahe standen, Ursache haben, über gewisse Dinge mit Stillschweigen hinwegzugehen. Durch diese Dürftigkeit der Nachrichten ist es möglich geworden, daß die Kriege Karl's des Großen, seine Thronbesteigung, seine Erhöhung zum Kaiserthrone von unsern Geschicht schreibern so verschieden dargestellt und be urtheilt werden, weil Jeder sie in seiner Weise zu deuten sucht. Ein unermeßliches Feld öffnet sich da der Phantasie und dem Scharfsinn, aber auch der bloßen Willkür der Forscher. Auf solcher Willkür beruhen hauptsächlich die harten und schmähenden Urtheile über Karl den Großen als einen „Eroberer" und „Schlächter," denen man so häufig begegnet. Wie anders würde wahrscheinlich das Urtheil lauten, wenn statt jener kahlen Annalen ein Thucydides unser Führer und Gewährsmann wäre, der jene welthistorischen Vorgänge in ihrem innern Heranwachsen vor dem geistigen Blicke hätte enthüllen können. Wir können diesen innern Pragmatismus der Geschichte

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freilich vermuthen und in's Ungefähr hinein construiren; doch sollte schon das Unsichere und Gewagte einer solchen Aufgabe genügen, uns mindestens in unserm Urtheil vorsichtig zu machen. Befriedigenden Aufschluß gewäh ren die Nachrichten der Zeitgenossen nur da, wo sie sich mit der Person des Kaisers beschäftigen; von wenigen Männern der Geschichte ist uns ein so lebendiges und anziehendes Porträt erhalten, als in Einhard's Biographie von Karl dem Großen. Und hier muß noch der Mönch von St. Gallen erwähnt werden, dessen freilich erst dem Ur enkel des Kaisers erzählte Anekdoten das Pors trät des Ahnherrn durch manchen köstlichen Zug vervollständigen. So lebte sein Bild unter den alten Kriegskameraden des Kaisers fort, die es schon um manchen sagenhaften Zug bereichert den Enkeln überlieferten.

Viel lohnender als jene politischen Nachrichten sind die Memoiren und Briefe aus Karl's des Großen Zeit, wie sie uns namentlich in seiner Lehrer und Freunde Alcuin und Paulus Diaconus Schriften und Briefwechsel erhalten sind. Hier lernen wir Karl den Großen im Verkehr mit vertrauten Freunden kennen; es wird uns ein Blick eröffnet in das Innere dieses reichen, vielgeschäftigen, nach Licht und Bildung, nach allgemeinem Fortschritt und Gedeihen rastlos strebenden Geistes. Die Verehrung, welche wir aus diesen Quellen schöpfen, muß natürlich auch auf die politische Beurtheilung furückwirken, und um so weniger können wir uns dann entschließen, zwischen den dürftigen Zeilen der Annalen" einen bloßen Eroberer" und „Schlächter“ zu finden.

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Um wie viel weniger, wenn wir nun endlich die dritte, bei Weitem wichtigste Gattung unsrer Quellen betrachten, nämlich die Geseze und Ordnungen des großen Kaisers. Nun werden wir mit Erstaunen inne, daß die Sage an seinen größten und besten Thaten nichts hinzugesezt hat: der Ordner und Gesezgeber der Christenheit, der Begründer der gesammten germanischen Staats- und Rechtsordnung, der Pflanzer und Pfleger eines aufblühenden geistigen Lebens steht vor uns.

III.

Wie um den Geburtsort Homer's, wird um den Ort gestritten, wo Karl der Große das Licht der Welt erblickte; zwar fehlt es nicht an Sagen und Nachrichten später Zeit;

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