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werk kannte Byron (brief an Murray 29. November und Tagebuch 26. November 1813). Zur ersten szene (Faust im studierzimmer) macht Madame de Staël die szenenangabe: une seule lampe éclaire cette retraite sombre. Vielleicht spukt diese regiebemerkung in Manfreds eingangsworten: The lamp must be replenished.

In dem freundnachbarlichen verkehr zwischen Diodati und Coppet mochte, durch das örtliche interesse angeregt, auch die in De l'Allmagne gegebene beschreibung der Fête d'Interlaken durch eine mündliche schilderung der lebhaften erzählerin in verstärkten farben neu aufleben, und dieses (am 17. August 1805 und 1808) mit großen kraftwettspielen unter dem zuzug vieler fremden gefeierte alpenfest mag Byrons blick fester auf das Oberland gelenkt haben.

Ferner wallfahrtet er außer zu den stätten der Nouvelle Heloise auch zu Gibbons wohnhaus in Lausanne (27. Juni 1816), und es ist nicht unmöglich, daß der entlegene name Manfred den Miscellaneous Works entnommen ist, denen Byron bereits für den stoff der Parisina und eine schlußanmerkung zum Corsair verpflichtet war. Im zweiten bande der Miscellaneous Works war in Critical Researches concerning the Title of Charles VIII to the Crown of Naples von Manfroy, dem unehelichen sohne kaiser Friedrichs II., die rede. In Outlines of the History of the World (bd. II s. 418) erzählt Gibbon, wie Manfroy das väterliche reich Neapel verteidigte, bis er im kampfe gegen Ludwig IX. das leben. verlor.

Byron selbst gestand keine andere anregung zu als die gewaltige Schweizer natur. Er wollte das drama nur geschrieben haben for the sake of introducing the alpine scenery in description (an Moore, 25. März 1817). It was the Staubach (sic!) and the Jungfrau and something else, much more than Faustus, that made me write Manfred (an Murray, 7. Juni 1820).

Am 9. Juli 1817 heißt es mit bezug auf eine quelle des Manfred, die der erste kritiker des dramas in einer Schweizer sage entdeckt haben will:

whatever it may be, the conjecturer is out, and knows nothing of the matter. I had a better origin than he can devise or divine, for the soul

of him.

Und am 12. Oktober 1817:

as to the germs of Manfred, they may be found in the Journal which I sent to Mrs. Leigh.

Auch abgesehen von wörtlichen übereinstimmungen mit diesem Tagebuche merkt man es der durchseelten darstellung der natur im Manfred — sei es ihrer pastoralisch-patriarchalischen größe, sei es ihrer schaurig-wilden einsamkeit an, daß sie geschaut, erlebt ist. Byrons naturgefühl hatte sich an den Schweizer landschaftsbildern und unter dem einfluß von Shelleys begeisterung zu höchster empfänglichkeit gesteigert und zu einem persönlichen verhältnis zur schöpfung verinnigt.

Im Tagebuch (29. September 1816) heißt es:

I was disposed to be pleased, I am a lover of Nature and an admirer of Beauty. I can bear fatigue and welcome privation, and have seen some of the noblest views of the world. But in all this the recollections of bitterness, and more especially of recent and more home desolation which must accompany me through life, have preyed upon me here; and neither the music of the Shepherd, the crashing of the Avalanche, nor the torrent, the mountain, the Glacier, the Cloud, have for one moment lightened the weight upon my heart, nor enabled me to lose my own wretched identity in the majesty, and the power, and the glory around, above, and beneath me.

Hier wäre also wieder eine anspielung auf das dunkle something more in dem briefe an Murray, das für die Manfred-erklärer ein noch ungelöstes rätsel ist. Köppel (Engl. stud. XXX 2, 1902) möchte unter something more Chateaubriands René verstehen und stützt seine ansicht mit der übereinstimmung der gesinnung in der schlußrede des Père Souil und der ganzen rolle des abtes von St. Maurice sowie mancher einzelheiten (Amélie und René sind, wie Astarte und Manfred, in einem einsamen waldschlosse aufgewachsen; Amélie stirbt ihrer sündigen leidenschaft willen der welt wie Astarte).

Auch Lovelace (Astarte. A Fragment of Truth concerning George Gordon Byron, sixth Lord Byron, Recorded by his Grandson, 1905) äußert, vermutlich ohne die literarische bildung, die die kenntnis seines französischen vorgängers bedingen würde, naheliegende vermutung, Byron hätte "die idealisierung der krankhaften leidenschaft des revolutionszeitalters" gekannt (s. 100).

die

Allein der geheimnisvolle hinweis scheint in verbindung mit dem gewaltigen natureindruck doch zu bedeutsam, um ihn nicht eher auf eine seelische erschütterung als den springenden punkt der dichterischen anregung zu beziehen als auf eine literarische vorlage. III.

Damit soll freilich der anteil, den das herrschende interesse am poetischen motiv der geschwisterliebe sicherlich an der

stoffwahl hat, keineswegs in abrede gestellt werden. Byron war bereits in der Bride of Abydos hart am inzestmotiv vorbeigegangen, in seinem ausweichen bestimmt durch die erkenntnis, daß er für dieses thema zweihundert jahre zu spät lebe (an Galt, 1. Dezember 1813). Der plan wurde dahin geändert, daß Selim und Zuleika sich für geschwister halten, es aber nicht sind. Byrons abschließendes urteil war damals, der gegenstand gestatte zwar mächtige gefühle und schilderungen, sei aber für diese zeit, zum mindesten für dieses land, nicht geeignet, obgleich die schönsten werke der Griechen, eins von Schiller, eins von Alfieri, nebst einigen der alten (und besten) englischen dramatiker auf gegen. ständen dieser art beruhten.

Auffallenderweise fehlt in Byrons übersicht berühmter bearbeitungen des inzestmotives die episode des Harfners und seiner schwester Sperata aus dem Wilhelm Meister (Lehrjahre VIII 9) *), obgleich gerade der eingangsvers der Braut

Know ye the land where the cypress and myrtle

doch kaum einen zweifel an der bekanntschaft mit Mignons lied übrigläßt. Byron erklärte zwar Lady Blessington, sein unabsichtliches plagiat könne nur von Madame de Staël verübt sein. Aber die in frage kommenden verse der Staël, wiewohl vermutlich gleichfalls von Goethe angeregt, haben mit dem Byronschen keine

1) Fragt nicht den widerhall eurer kreuzgänge, sagt der alte, nicht euer vermodertes pergament, nicht eure verschraubten grillen und verordnungen, Fragt die natur und euer herz; sie wird euch lehren, vor was ihr zu schaudern habt, sie wird euch mit dem strengsten finger zeigen, worüber sie ewig und unwiderruflich ihren fluch ausspricht. Seht die lilie an: entspringt nicht gatte und gattin auf einem und demselben stengel? Verbindet beide nicht die blume, die beide gebar? Und ist die lilie nicht das bild der unschuld und ihre geschwisterliche vereinigung nicht fruchtbar? Wenn die natur verabscheut, so spricht sie es laut; das geschöpf, das nicht sein soll, kann nicht werden; das geschöpf, das falsch lebt, wird früh zerstört. Unfruchtbarkeit, kümmerliches dasein, frühzeitiges zerfallen, das sind ihre flüche, die kennzeichen ihrer stimmung. Der Harfner spricht sich mit dieser darlegung sein eigenes verdammungsurteil. Mignon, die frucht der geschwisterehe, hat etwas außernatürliches und stirbt fiüh. Ihre mutter endet jung im wahnsinn, und auch der geist des Harfners umnachtet sich. Augustins und Speratas leben wird gerade durch die widersätzlichkeit der weltsitte und der kirche zerstört. Man trennt sie, überantwortet sie der einsamkeit, den qualen des gewissens. Ein unduldsamer seelsorger stiftet unheil, indem seine härte Augustin zum eigensinnigen bestehen auf seiner ansicht drängt. Byrons abt von St. Maurice ist duldsamer als Speratas beichtvater. Dafür entspricht Manfreds grundstimmung

ähnlichkeit 1). Es ist überdies kaum denkbar, daß Byron den Wilhelm Meister nicht gelesen haben sollte, wenn nicht im original, so doch in einer übersetzung. Cyrus Redding vermutete, seine eigene übertragung Goethes habe Byron gedient (Byron's Prose Works, edit. Prothero II 304).

Die bedeutung und anziehung des inzestmotives für das damalige geschlecht könnte kaum sichtbarer gemacht werden als durch den umstand, daß selbst Goethe mit seiner geistigen klarheit, gesunden sittlichkeit und ästhetischen überlegenheit offen und nachdrücklich dabei verweilte. Wohl möglich, daß dieses beispiel auf Byron wirkte. Seine auflehnung gegen die sakramentale heiligkeit willkürlicher gesetzesformeln nahm stetig zu, und so wurde er auch im punkte der geschwisterliebe immer weniger zurückhaltend. Nach Lovelace (s. 129) hätte er anfangs 1814 in Holland House sonderbare theorien über die beziehungen zwischen bruder und schwester vorgetragen.

Im laufe dieses jahres mußte er dann mit seiner eigenen person den beweis erbringen, daß sich das inzestmotiv für die gegenwart und zumal für England noch keineswegs überlebt hatte, mußte am eigenen leibe erfahren, daß gewisse reizmittel eines übersättigten geschmackes nie veralten. Fast gleichzeitig wurden er und Shelley verbotener verhältnisse bezichtigt Shelley zu

der des Augustin: »Ich darf reden, denn ich habe gelitten wie keiner, von der höchsten, süßesten fülle der schwärmerei bis zu den fürchterlichsten wüsten der ohnmacht, der leerheit, der vernichtung und der verzweiflung, von den höchsten ahnungen überirdischer wesen bis zu dem völligsten unglauben, dem unglauben an mir selbst.<

In derselben rede heißt es: Begegnet uns unter jenen zypressen, die ihre ernsten gipfel gen himmel wenden, besucht uns an jenen spalieren, wo die zitronen und pomeranzen neben uns blühen, wo die zierliche myrte ihre zarten blumen darreicht; usw.<

Vielleicht stammt aus der verschwommenen erinnerung an diese für Byron packende stelle die zypresse und myrte in der ersten zeile der Bride of Abydos, während Kennst du das land doch den lorbeer erwarten ließe. Jedenfalls scheint diese zweifache berührung der Braut mit dem Wilhelm Meister beachtenswert und mehr als zufall.

1) Vgl. A Journal of the Conversations of Lord Byron with the Countess of Blessington, a new Edition, 1893, p. 295. Madame de Staëls verse lauten:

Cette terre, ou les myrtes fleurissent,

Ou les rayons des cieux tombent avec amour,

Ou les songs enchanteurs dans les airs retentissent,
Ou la plus douce nuit succede au plus beau jour.

seiner schwägerin, Byron zu seiner halbschwester. Und gleichzeitig, nämlich nach dem zusammensein in Diodati, also sicherlich nach reiflicher aussprache, traten beide mit mehrfachen poetischen behandlungen des inzestthemas in die öffentlichkeit. Die damit verbundene absicht äußert Shelley in einer später gestrichenen stelle der 1817 geschriebenen vorrede zu Laon and Cythna:

to startle the reader from the trance of ordinary life.

Die kruste überlebter ansichten und daran geknüpfter einrichtungen sollte durchbrochen werden. Weil es so viele künstliche laster gebe, meinte Shelley, gebe es so wenig wirkliche tugenden. Wirklich gut oder schlecht seien nur die wohl- oder übelwollenden gefühle.

Shelleys ansichten, die in Laon and Cythna und in Rosalind and Helen einer verklärung der geschwisterliebe gleichkommen, haben Byrons standpunkt jedenfalls mehr beeinflußt als der völlig entgegengesetzte Chateaubriands, der in René ausschließlich den maßstab der christlichen moral anlegt und die empfindung der geschwister als todsünde und blutschande betrachtet. Byron dagegen stellt im dritten gesang des Childe Harold (st. 55, geschrieben Mai Juni 1816) die geschwisterliebe über die gattenliebe. Im Cain (1821) grübelt er, der sich zu der unverantwortlichkeit der natur- und götternähe von Shelleys instinktleben nicht völlig zu bekennen vermag, darüber nach, daß zufällige umstände tugend und sünde machen. Wie könnte sonst, was das glück und den stolz eines geschlechtes bildet, dem andern fluchenswert und verächtlich scheinen? Sünde ist nicht sünde in sich selbst. Wir sind sklaven der zeit und des ortes, in denen wir leben.

Übrigens erscheint im Manfred die tatsache eines inzestes durchaus nicht erwiesen, und daß zwischen Astarte und Manfred ein unerlaubtes verhältnis bestehe, ist mehr die überlieferung einer vorgefaßten meinung als eine klar zu beweisende, ausgemachte sache. Schon Kraeger (Byrons heldentypus 79) warf gelegentlich die bemerkung hin, die schuld, die Manfred drücke, sei nicht das bewußtsein des inzestes, sondern neben einem sadistischen triebe zur selbstqual der fluch, daß seine liebe die geliebte verdorben habe.

Vertieft man sich in das drama ohne alle voreingenommenheit, völlig unbefangen von dem um die dichtung gewobenen sagenkreis absehend, so findet man überhaupt keine zwingende notwendigkeit, das verhältnis zwischen Astarte und Manfred als

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