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Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft, im auftrage des vorstandes hrsg. von A. Brandl und M. Förster. 52. jahrgang. Berlin 1916. XLVIII + 272 SS.

Die ansprache des präsidenten bei der jahresversammlung am 23. April 1916 beginnt mit den schlichten, aber beweglichen worten: > Anders, als wir es vor zwei jahren beim 50 jährigen jubiläum unserer gesellschaft hoffen durften, begehen wir heute das 300 jährige gedächtnis von Shakespeares todestag.< Und dieses >anders<< klingt durch die ganze begrüßende und berichtende einleitungsrede, aber auch wie durch den geist der deutschen anglistenwelt in >>ruhe und würde«, so auch durch nahezu den ganzen wiederum überaus inhaltreichen band des jahrbuches. Das bündnis Deutschlands mit Österreich-Ungarn ist durch offizielle und inoffizielle vertretung der schwestermonarchie bei der jubiläumstagung genügend zum ausdruck gekommen, der vorliegende band bezeugt in zahlreichen größeren und kleineren beiträgen verschiedenster art die rege anteilnahme Österreichs am werke der gesellschaft, einen für unser deutsches wesen fruchtbaren kultus des britischen dramatikers überall in wissenschaft, literarischer form und bühnenaufführung sachgemäß zu betreiben. Seine befruchtung der dramatischen kunst in wort und darstellung streift Brandl in seiner ansprache mit beachtenswerten worten und weist auf die traurigen ergebnisse der englischen jungdramatiker und -kritiker hin, in Shakespeares heimatland ein wirklich nationales theater< zu schaffen (s. XII). Dort fehlt eben heute der genius des mannes, der deutschem kulturleben einen so mächtig fortgepflanzten anstoß gab. Wir aber danken es, besonders am heutigen tage, dem großen Stratforder, daß er der menschheit dramen hinterließ, die uns die seele weiten, wie es nur lebendige poesie zu tun vermag. Schrieb er als stolzer Engländer gut: wir lernen von ihm, ebenso stolz auf unser vaterland zu schauen. Wünscht er für seine landsleute eine gedeihliche zukunft über alle meere hin gut: seine lehre soll an uns nicht verloren sein.<< (S. XII.) Haben dramaturgen und mimen wie bisher des dichters worte in beredten darstellungen zum volke sprechen lassen, so darf auf die fortführung der herausgabe von Shakespeares quellen, auf den einbändigen deutschen originaltext bei Tauchnitz, auf Kellers reichlich kommentierte neuausgabe des Schlegel-Tieck in Bongs goldener Klassiker-Bibliothek als fleißige Sh.-arbeit auch während des krieges hingewiesen werden.

J. Hoops, Englische Studien. 51. 2.

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auch

Brotaneks (in Weimar gekürzt gehaltene) festrede: Shakespeare über den krieg, läßt sich von dem etwas umfangreicheren, bescheiden unter dem titel der Theaterschau « untergebrachten aufsatz von Helene Richter (Wien): Shakespeare im zeichen des krieges, inhaltlich nicht trennen. Ist Brotaneks unbeschadet ihres schönen stiles als rede klar und überzeugend formulierte untersuchung mehr historisch-philologisch gehalten, so geht H. Richter von der bühne der gegenwart und des fne. theaters als von einer politischliterarischen kraft aus und verfolgt das aktuelle thema mit unvermeidlicher häufiger berührung mit Brotanek in glänzender darstellung mehr vom geistesgeschichtlichen und rein-menschlichen standpunkte, nicht selten mit romantischen ideen.

Brotanek scheidet zunächst säuberlich traditionelle und charakterhafte äußerungen über den krieg in den dramen Sh.s von solchen, in denen wir des dichters wahrworte fühlen, und gliedert seinen stoff dann in fünf abschnitte: 1. Die darstellung des krieges bei Sh. in oft breiter (verglichen mit den quellen) selbständiger ausmalung und vergeistigter schilderung, besonders der vorbereitungen zu kämpfen; 2. Die quellen für Sh.s kriegsvorstellung (nicht eigene anschauung, sondern bibel, klassisches heldentum, namentlich im englischen Plutarch) und seine von Kyd vorbereitete gestaltung der kriegerischen vorgänge in ihrer bedeutung für die menschliche gesellschaft; 3. Die erschöpfung des begriffsinhaltes >krieg durch die verschiedenen dramenfiguren, auch der kriegerzucht, treue, gefangenenbehandlung, gnade, tapferkeit, überlegung, tüchtigkeit usf.; 4. Die anschauungen über den kriegerstand, den Sh. in verblüffender lückenlosigkeit vorführt, über die strategie, die fröhlichen soldaten, die frauen im kriege (wobei Cordelia vielleicht etwas zu kurz kommt) und 5. Die kriegsursachen und -anlässe, das hohe verantwortlichkeitsgefühl von kriegserklärern, Sh.s verurteilung egoistischer und um ihrer selbst willen begonnener kriege; die betonung der gerechten sache (im subjektiven sinn), die patriotische beschränktheit in der wertschätzung englischer kampftüchtigkeit, die erbfeindschaft gegen Frankreich und die gegenseitige unaufrichtigkeit auch bei den betreffenden friedensschlüssen, endlich Sh. s preis der segnungen eines echten friedens, unter dem er sich aber wohl nie einen ewigen weltfrieden vorstellte. Brotanek kommt zu dem schlusse, daß Sh. keine neuen leitsätze über den krieg zu geben hatte, wohl aber sittlichen ernst, eindringlichkeit und allseitigkeit auch diesem gegen

stand gegenüber bewies, die auf die deutschen pflichtbegriffe noch nach 300 jahren weiter fortwirken 1).

Helene Richter beleuchtet einleitend das verhältnis des Wienertums zu kriegsstimmung, patriotismus und nationalgefühl, charakterisiert dann in bewährter plastik die Wiener Shakespeareaufführungen seit kriegsbeginn und lenkt dann zum großen gegenstand, der widerspiegelung des krieges bei Sh., über. Sie findet beim dichter wenig begeisterung für den krieg, eine fast ängstliche rechtfertigung der feldherren und könige vor der entscheidenden erklärung und selbst im schlachtgetümmel, aber auch befürwortung des rücksichtslosesten kampfes zur einsetzung verdrängter legitimer macht überall jedoch nur des krieges um des friedens willen. (Die richtigkeit der konstruktion einer » tragischen schuld< der Cordelia, als einer gegen das vaterland kriegführenden [s. 169], möchte man allerdings bezweifeln.) Sehr fruchtbar sind Richters ausführungen über das verhältnis der charaktere der helden zum krieg überhaupt und zur technischen rolle desselben im betreffenden drama (S. 169 ff.), sowie die knapperen über die episodischen soldatenfiguren; die über manneszucht, die naiv-einfache gerechtigkeit der erfolge, die erbfeindschaft Frankreichs decken sich zumeist mit denen Brotaneks. Eine abschweifung zur frage nach Sh.s neigung und abneigung gegenüber den fremden nationen ergibt wenig resultate außer für die uns nicht gleichgültige hochschätzung deutscher wissenschaft im Hamlet, vielleicht auch im Sturm. Innerhalb der absolutistisch-patriarchalischen weltanschauung des aristokratismus bei Sh. läßt dieser häufig die vaterlandsliebe zum wertmesser seiner gestalten werden, baut aber stets auch politische größe auf die menschliche auf und läßt seinen patriotismus, so volltönend er zuweilen zu uns spricht, nicht in kriegsbegeisterung ausleben. >> Das individuum, persönliche probleme und beziehungen gehen ihm offenbar über die darlegung von verhältnissen und einrichtungen. Er schaut das vaterland gewissermaßen als großes gesamtindividuum. Ob Richters prophezeiung von einem nach dem frieden zu erhoffenden neuen verstehen Deutscher und Engländer im gedanken an den gemeinsamen ahnherrn ihrer kultur zutreffen wird?? Zunächst müssen wir Deutsche uns begnügen, Sh. mit vollem recht für uns in besitz zu nehmen, wie dies auch

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1) Ref. schließt sich Schröers lobender kritik, die in Engl. stud. 50, 189 f. erschienen ist und unter dem unmittelbaren eindruck der formvollendeten festrede stand, uneingeschränkt an.

die beiden poetischen huldigungen von P. Wolf (s. 1) und Ernst Hardt (s. 2), letztere mit betonung der gegenwärtigen heimatlosigkeit des dichters in seinem eigenen vaterlande, zum ausdruck bringen.

Von den großen aufsätzen des bandes fördert der O. Walzels über Sh.s dramatische baukunst die kritik von Sh.s technik in scharfsinniger und weitblickender auseinandersetzung mit W. Schlegel, Freytag, Bulthaupt, Creizenach ua., namentlich aber mit Wölfflin und der Amerikanerin Fansler. Walzel glaubt, eine ganz bestimmte und höchst kunstmäßig herausgearbeitete form in den dramen des großen Briten zu erkennen und zeigt an zwei beispielen deren wirken. In Antonius und Kleopatra weist er die übermächtige liebe des heldenpaares als das stets gegenwärtige, größe fühlbar machende nach und daraus wieder eine innere verkettung und notwendige gliederung der handlung. Die scheinbare assymetric der Kleopatra-auftritte dürfe dabei nicht stören. Ähnlich analysiert Walzel, über Fanslers von ihm selbst als feinsinnig anerkannte Learkritik weit hinausführend, den K. Lear, wobei wieder die gewollte assymetrie bei innerer und sinnlicher beherrschung des stückes durch das Lear-thema, auch wo die figur selber zurücktritt, zutage kommt. Walzel wendet Wölfflins forschungen auf die beiden tragödien an und sucht den übergang der geschlosseneren zur offeneren form, der sich nach jenem kunstphilosophen vom 16. zum 17. jhd. vollzog, auch hier strikt zu erweisen: das lockern der regel, die entspannung der tektonischen strenge, das anlegen des tragischen bildes in der diagonale, wobei den dramatischen kontrasten der szenen eine große rolle für die architektonische bindung < zufällt, namentlich in der form kontrastierender wiederholung. Ein lehrreicher vergleich von Tiecks Genoveva nach Bernhardis stilanalyse (a. d. j. 1800) mit Sh. s kontrasttechnik erläutert viele von Walzels aufstellungen, die mit gewohnter feinheit und großzügigkeit zwar kein schlagwort schaffen wollen, aber doch für Sh.s dramen eher die barock kunst als die der renaissance gelten lassen möchten, die den eigentlichen form willen des dichters gerade auch aus seinen meist befehdeten stellen zu erkennen bestrebt sind. So sehr Walzel die eigentlich historische betrachtung der werke Sh.s hier absichtlich beiseite gestellt hat, scheint ref. doch eine brücke seiner ästhetischen betrachtung zu Deutschbeins beachtenswertem Bremer vortrag (Neuere sprachen 23, 9 ff.) hinüberzuführen: sollte nicht die dort um 1600 erwiesene abkehr Sh.s von der

monistischen weltanschauung der renaissance auch die von Walzel hier dargelegten formellen konsequenzen gehabt haben?

Über Dichter und patriotismus handelt F. Kaibel, umreißt die anforderungen an einen nationalen dichter, dessen verhältnis zur überhandnehmenden kritik und zum genießenden publikum und die wirkliche mobilmachung der künste in unserm weltkrieg. In einer überspannung seiner ansicht, daß Sh. ein patriotischer dichter war, sucht Kaibel die königsdramen als objektive, nicht nationale dichtungen zu erweisen, bringt eine interessante, aber wohl kaum begründete meinung über die entstehung des zt. apokryphen K. Heinrich VIII., mahnt schließlich zum glauben an die ehrlichkeit des gegners, zur ehrfurcht vor unsrer eignen neuen zukunft, bestimmtheit und würde, zur zuversicht in einen kommenden deutschen dichter der ethik der zivilisierten welt, der aus diesem ungeheuerlichen ringen geboren werden soll.

zur

A. Winds betrachtet Sh. als bildner des schauspielers in der geschichte deutscher bühnenkunst, die am kräftigsten durch den Briten seit Schröder und Brockmann angeregt worden ist. Die gottbegnadeten deutschen mimen greifen aber zum unterschied von den englischen nur die ihnen wirklich kongenialen hauptrollen auf und suchen stets neue wege in ihrer verkörperung. Bei Sh. >werden dem schauspieler die sinne für den ausdruck menschlicher leidenschaften geschärft, denn in den werken Sh.s erklingen sie in ihren urlauten. Dadurch wurde es Schröder möglich, die deutsche bühnendarstellung von der konvention zu befreien. Sh.s kraft der diktion zwingt den interpreten, »dem steten wechsel in stimmung und gedankengang gerecht zu werden, hält ihn aber auch an, überall im wort den naturlaut aufzusuchen, der nirgendwo mit dem sinn besser verankert ist als in der sprache Sh. s«. So echt theaterwirksam alles in dieser sprache ist, so muß der künstlerische schauspieler doch gerade hier wieder lernen, mit der musikalischen schönheit des rhythmus den naturaffektton zu vermählen. In der kontrastierung der personen und ihres tones mit der buntesten reihe von mitspielern, in dem vorangehen der gebärde vor dem worte, in der körperlichen wirkung aller seelischen zustände in Sh.s schilderungen erweist sich Sh. als prüfstein für einen guten mimen und als jungbrunnen für die moderne bühnenkunst.

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Der Dickensforscher W. Dibelius geht den wenigen direkten beeinflussungen und zahlreicheren indirekten ähnlichkeiten, die zwischen Dickens und Shakespeare bestehen, nach; an letzteren hebt

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