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ist eine kolossale Schutthalde geöffnet, auf der wir morgen den Versuch machen wollen, einen westlichen niedrigeren Seitenkamm zu erklettern, welcher oben in die Hauptwand nahe der höchsten Spize überzuführen scheint. Daß es eine sehr böse Partie sein wird, lehrt der bloße Anblick. (Siehe Tafel 12.)

Nach beendeter Auskundschaftung und beladen mit Steinsplittern, an welchen mannigfache Arten von Flechten, die ausschließlichen Bewohner dieser Lavagipfel, hafteten, kehrten wir „heim“ und trafen die nötigen Vorkehrungen für den frühzeitigen Aufbruch zur ersten Mawensi-Besteigung (13. Oktober).

Es hatte in der Nacht scharf vom Mawensi herab geblasen, und ein bitterkalter Nordost empfing uns, als wir gegen 4 Uhr bei Vollmondschein Seil und Pickel zur Hand nahmen. Muini hatte uns in seinem Höhlenlager gehört und rief uns sein glückwünschendes ,,Rudi salama“ („Kehrt heil wieder“) zu; er that es fortan jedesmal, wenn wir zu einer größeren Tour aufbrachen, und ich gestehe, daß ich diesen Zuruf sehr vermißt hätte, wenn Muini ihn einmal unterlassen haben würde, denn angesichts einer Gefahr ist Niemand ganz frei von leisen abergläubischen Regungen, unter welcher Form sie sich auch verstecken mögen. So stolperten wir, von Muinis Wünschen begleitet, in die östlich von unserm Hügel eingetiefte Mulde hinab und in ihr hinan zu querliegenden Lavawällen und „Schildkrötenhügeln", jenseits von denen im ersten Frühlicht die unteren Ausläufer der großen westlichen Mawenfi-Schutthalde, unser nächstes Ziel nach der gestrigen Rekognoszierung, betreten wurden. Die dunkeln Mauern und Türme des Mawensi begannen sich aufzuhellen, langsam verblich der unvergleichliche Glanz der Venus.

Der Grund ist hier in 4650 m Höhe feucht und mit schwammigen, grünen Graspolstern überzogen, in welchen der Fuß bis zum Knöchel einsinkt. Von allen Seiten führen Fährten von Elen-Antilopen hierher, und massenhaft ist ihr Dung über die kleine Wiese zerstreut. Ein halbes Hundert Meter höher oben rieselt unter einem Felsblock eine Quelle hervor, die jezt in der Nachtkälte teilweise gefroren war, denn obwohl die Sonne inzwischen aufgegangen, dringt

Hans Meyer, Kilimandscharo.

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sie wohl nicht vor 10 Uhr über die Mawensikämme herüber und läßt die Temperatur des Schattens hier noch lange auf ihrem tiefen Stand. In einzelnen Flecken und Zungen reicht der Pflanzenteppich auf dieser Halde bis zu 4700 m hinauf, wo, gewärmt von der starken Insolation der Mittagssonne und getränkt von einer kleinen zweiten Quelle, die am höchsten stehenden blütentragenden Florakinder auf dem ganzen Kilimandscharo ihr Dasein fristen.

Nach Zurücklassen der Quellregion begann ein äußerst mühsames Aufwärtsrutschen im losen Schutt der Halde, der unter jedem Tritt nachgab. Alle 40-50 Schritt mußte einige Sekunden zum Luftschnappen angehalten werden. Rückwärts gewendet, sahen wir in der klaren Morgenluft rechts, fern hinter dem Kibo, die einförmige NjiriEbene schimmern; links ragte der Meru aus den Schichtwolken der Steppe in der schönen Form empor, in welcher nur Cyklopen bauen.

Zwei Drittel der Halde legten wir zurück, dann wandten wir uns der linken ungeheuren Lavawand zu, und nun begann die halsbrecherischste Felskletterei, die ich je erlebt habe. Wir legten uns das Manilaseil um den Leib und arbeiteten uns auf den schmalen Gesimsen und Köpfen der nach Norden einfallenden Lavaschichten und durch die Kamine vertikaler Spalten langsam einige 30 m hoch empor. Purtscheller, welcher vorankletterte, bewies eine Meisterschaft im Überwinden scheinbar unüberwindlicher Stellen, die ich in Anbetracht seiner ziemlich starken Kurzsichtigkeit, welche ihn bei solchen Touren zum Brillentragen nötigt, nicht für möglich gehalten hätte. Als er wieder über einem Kamin meinen Blicken entschwunden war, hörte ich seinen Zuruf: „Bleiben Sie, hier geht's nicht, wenn man keine Flügel hat." Doch einige Meter weiter rechts fand sich ein besserer Aufstieg. Erst seilte er die Eispickel nach, die uns bei diesem Felsklettern mehr hinderlich als dienlich waren, und dann folgte ich, immer wieder prüfend, ob die Vorsprünge und Ecken, an welchen sich mein leichterer Gefährte emporgezogen hatte, noch Halt für meinen schwereren Körper gewährten. Weit öfter ist der Versuch vergeblich, der Stein bricht aus, und die Wahl eines festeren Standpunktes kostet viel Zeit und Kraft. Die Hände hatten genau

so viel zu arbeiten wie die Füße, denn die Steilheit und Zerrissenheit dieser Lavamauern ist ohnegleichen. Dußendmale schwebte ich, mit dem Rucksack in einer Spalte festgeklemmt oder von Purtscheller am Seil gehalten, in der Luft, da die betretenen Felsvorsprünge morsch wegbrachen und sausend in die Tiefe stürzten. Wo wir eine Passage glücklich überwunden hatten, kennzeichneten wir die Stelle durch grellrote, mit Steinen beschwerte Papierfeßen für den Fall, daß wir daselbst wieder absteigen müßten. Und der Gedanke an diese Wahrscheinlichkeit hatte offen gestanden wenig VerLockendes.

So ging es 312 Stunden lang auf allen Vieren aufwärts, bald mehr links, bald mehr rechts, bald über zwei Hände breite Simse platt auf dem Bauch, bald mit gespreizten Knieen und Ellbogen in einem Kamin senkrecht hinauf. Unsere ganze aufs höchste gespannte Aufmerksamkeit galt nur den Lavafelsen über uns; Kibo und Plateau und Ebene waren völlig vergessen.

Gegen 11 Uhr standen wir dem Grat nahe. Etwa 10 m unter ihm sah ich plötzlich durch eine Spalte den blauen Himmel von der anderen Seite hindurchleuchten. Die ganze Mauer war hier nicht mehr als 1 m dick, so daß wir uns fragen mußten, ob der brüchige schwache Bau durch unser Gewicht nicht zusammenbrechen würde; aber es gab keine Wahl, und die Ruine hielt. Die Zerrissenheit des Kammes spottet aller Beschreibung. Man begreift schlechterdings nicht, wie sich dieses morsche Gestein, diese dünnen, hinausragenden Zacken und schiefen Türme bei Wind und Wetter hier oben halten können. Obgleich es fast windstill war, sausten doch, von der ausdehnenden Sonnenwärme gelöst, nach allen Seiten Steinschläge ab.

Teils auf dem Grat, teils dicht unter ihm kletterten wir nun am Kamm entlang der Stelle zu, wo er in den zentralen Kamm des Mawensi einmündet. Da der Fortgang zur höchsten Spize nicht unmöglich schien, waren wir recht guter Dinge. Allein plößlich gähnte zu unseren Füßen ein Abgrund, und bestürzt sahen wir, daß der Kamm, auf dem wir in 5090 m Höhe standen, durch eine tiefe Schlucht vom Hauptkamm getrennt war.

Die Enttäuschung war zuerst niederschlagend; das Ziel war troß aller Mühen nicht zu erreichen. Aber das Bewußtsein, die gewaltige Natur doch besiegt zu haben, soweit es in menschlicher Macht steht, dieser bedeutendste ethische Inhalt alles Bergsteigens, ließ uns rasch unsere Fassung wiedergewinnen. Hier ist unsere Kunst zu Ende“, rief ich Purtscheller zu, wir wollen aber wenigstens unsern Querfamm traversieren." Und dies schien leichter zu sein als der Abstieg an der Seite, auf der wir gekommen waren. In Kurzem waren wir, nach Norden hinuntersteigend, in einem abschüssigen Schuttkessel und liefen gleitend auf ihm hinab, bis wir zu unserer peinlichen Überraschung vor einem an 200 m tiefen, überhängenden Absturz standen, unterhalb dessen sich die Schutthalde fortsette. Nirgends zeigte sich an diesem Querriegel eine „greifbare" Passage. Nach langem, beunruhigendem Suchen entdeckte ich unmittelbar unter unserm Querkamm eine schmale, vereiste Rinne das einzige Eis, das wir am Mawensi beobachteten ), in der wir uns langsam abseilen konnten. Dies war ein heikles Geschäft, denn kaum hatten wir die Hälfte des Weges hinter uns, als ein Hagel kleiner Steine über unsere Köpfe weg pfiff, dem bald mit brummendem Saufen ein großes Geschoß folgte. Schnell, schnell hinunter“, rief Purtscheller,,,der Berg schlägt uns sonst tot." Noch ging ein prasselnder Steinschlag über uns weg, da standen wir auf dem unteren Schuttkar seitwärts außer der Schußrichtung, streckten uns unter einen Block und genossen mit Begier den ersten Bissen auf der ersten Ruherast dieses Tages.

Es war 122 Uhr, und in den höchsten Spizen des Mawensi wogten und wirbelten die Mittagsnebel. Rings um uns her türmten sich in fürchterlicher Steilheit die Lavamauern 500–600 m hoch mit den abenteuerlichsten Gratformen auf, am imposantesten die breite, an 700 m hohe Wand, welche von der höchsten Mawensispiße gekrönt ist. Und an ihnen allen wechseln die Tausende von übereinander liegenden Lavaschichten und sie durchbrechenden Querspalten im wunderbarsten Spiele der Farben von mattem Gelb zu lichtem Rot, Graublau, Dunkelbraun, Grün und vielem anderen mehr. Hier gibt's im Überfluß zu schauen für den Geologen und Geognosten, und welches

Paradies für Mineralogen und Petrographen sind anderseits diese Schutthalden, wo sich alle die weit getrennten Gesteine des Berges bunt vereint zusammenfinden.

Eine fast ganz rote, zerklüftete Lavamauer, die von hier nach Westen weit vorspringt, von Norden nach Süden umgehend, streiften wir in ihrer unteren Verlängerung ein niedriges, kreisrundes Kratergebilde von 120 Schritt Durchmesser und tappten noch zwei Stunden im Nebel irrend umher, bis wir endlich auf unseren Lagerhügel trafen, wo uns Muini Amani mit einem wirklichen Huhn im Topf längst sehnsüchtig erwartet hatte.

Gegen Abend umschwirrten regelmäßig mit hellem Ruf mehrere pfeilschnelle Bergschwalben unser Lagerfeuer, die offenbar in den Wänden unseres Lagerhügels und im unteren Geklüft des Mawensi nisten und neben unseren bisherigen kleinen gefiederten Freunden, den Steinschmäßern, nun auch unsere Einsamkeit belebten. Nach dem Dunkelwerden schweigen die gefiederten Bewohner der Luft, aber als eine neue Erscheinung leuchten von nun ab täglich tief unten in der Südebene flimmernde Grasbrände auf, die hier an Ausdehnung schnell wachsen, während sie dort schwinden und stellenweise täuschend das nächtliche Bild einer lichterglänzenden Großstadt hervorzaubern. Unendlich viel schöner ist indessen der Kegel des Zodiakallichtes, das am Horizont intensiver leuchtet als die hellsten Teile der Milchstraße und oben erst im Sternbild des Skorpions erlischt.

Bevor wir die zweite Mawensi-Besteigung (15. Oktober) unternahmen, ließen wir den Armen und Beinen, die bei der ersten Besteigung eine harte Probe zu bestehen gehabt, einen Tag Ruhe. Vom Gipfel unseres Lagerhügels gelang mir eine vollständige Theodolitaufnahme der Umgegend und später eine zweite Mittagsobservation. Muini, welcher von der Schneequelle Wasser geholt hatte und auf dem Rückweg selbständig auf Entdeckungen östlich unseres Lagers ausgegangen war, brachte triumphierend eine leere Mockturtlesoup - Büchse mit, die er in uns unbekannter Gegend aufgelesen hatte und die vermutlich von den englischen Jägern Jackson und Harvey herrührte, welche bis in diese Höhe gelangt sein sollen. Das Gefäß diente uns wochenlang

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