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Was die Zeit der Handlung anlangt, so sollte man der Angabe nach, welche Bandello darüber macht, sie in den Anfang des 14. Jahrhunderts verlegen, da Bartolomeo della Scala von 1301 bis 1304 in Verona regierte. In der That wird auch gewöhnlich das Jahr 1303 als dasjenige angenommen, in welches die Begebenheit zu verlegen sei. Eine so vereinzelte Angabe könnte jedoch hierüber nicht als entscheidend angesehen werden, wenn nicht das ganze Zeitverhältniss dem Entstehen einer so rührenden, das Innerste des Gemüths ergreifenden Erzählung förderlich gewesen wäre; ob es eine wahre Geschichte oder blosse Fiction, verschlägt hiebei eigentlich Nichts; im letzteren Falle fragen wir blos nach der Zeit, da die Erzählung entstanden; es kommt Alles auf die Auffassung an, die sie ihrer Zeit gefunden. In einer aller Poesie baren Zeit wäre sie auch als wirkliche Begebenheit unbeachtet geblieben und in Vergessenheit gerathen. Der Anfang

des 14. Jahrhunderts konnte sich schon eines Dante rühmen und rief einen Petrarca und Boccaccio hervor, Grund genug, anzunehmen, dass der Sinn für das Romantische geweckt war; die Wissenschaften waren in Italien schon über hundert Jahre wieder gepflegt worden, man hatte die Schätze des Alterthums wieder aus dem Staube hervorgezogen und bildete sich an ihren Mustern. Es scheint also in der That nicht unwahrscheinlich, dass der Anfang des 14. Jahrhunderts jene schöne Sage von Romeo und Julie erzeugt habe.

Wenn wir es jetzt unternehmen, das Drama einer näheren Erörterung zu unterwerfen, so erinnern wir uns dabei eines Wortes, das Gervinus über sämmtliche Dramen Shakspeare's ausgesprochen hat: „sie zergliedern heisst, sie zerstören; und wer von ihnen nicht unangeleitet berührt wird, dem wird sie auch keine Erläuterung näher bringen." Ganz besonders ist dies auf das Trauerspiel Romeo und Julie zu beziehen, weil eigentlich die ganze Anlage desselben vom Dichter darauf berechnet ist, den Leser oder Zuhörer bei verschiedenen Gelegenheiten auf den inneren Sinn des Stücks hinzuleiten. Ist also das sprachliche Hinderniss überwunden, so kann man darin kaum fehlgehen. Das vorliegende Stück ist indess ein so reichhaltiges und hat der ethischen Seiten so viele, dass dem Leser manche davon entgehen möchten, wenn er nicht auf sie hingewiesen wird.

Hiezu gibt uns nun der Dichter selbst die beste Anleitung. In einem dem Stücke vorangeschickten Prolog deutet er zunächst

den Gegenstand desselben in zwei Hauptrichtungen an: tödtlicher Hass zweier Familien, deren Kinder eine durch das Missgeschick heimgesuchte Liebe nähren; und diese zwei Hauptrichtungen begegnen sich in dem letzten gemeinsamen Zielpunkte: der Tod der beiden Liebenden bewirkt die Versöhnung ihrer Eltern, und das Drama entwickelt dann vor den Augen des Zuschauers in noch nicht übertroffener Weise die Motive zum Untergange der Liebenden.

Der erste Act führt uns auf den Schauplatz der Handlung, zeichnet die Situation und Verhältnisse, in und unter denen die Hauptcharaktere sich befinden, die Strassenkämpfe der Anhänger der beiden in gegenseitiger Feindschaft lebenden Häuser; die gestörte Ruhe der Bewohner Veronas; dann Romeo's verschmähte Liebe zu Rosalinden und seinen hiedurch herbeigeführten Gemüthszustand; dann Paris Bewerbung um Julie und den Eindruck derselben auf ihr noch rein kindliches Gemüth. Es rollt sich so die Scene vor uns auf wie ein Gemälde und lässt uns auf dem Boden heimisch werden, auf dem die eigentliche Handlung vor sich gehen soll.

Der alte Capulet ist ein jähzorniger, wankelmüthiger Charakter, der sich in seinem vorgerückten Alter zuweilen noch jugendliche Kraft zutraut, nach dem Degen ruft, um an dem Kampfe inmitten der jungen Raufbolde Theil zu nehmen, seine Tochter bald für reif, bald für unreif zum Heirathen erklärt, ihr erst freie Wahl lassen will, dann wieder mit Schlägen droht, wenn sie sich weigere, Paris zu heirathen. Auch muss er in seinem Hause nicht in sonderlicher Achtung gestanden haben, woran theils dieser haltlose Charakter, theils alte Erinnerung an sein früheres Leben Schuld sein mögen. Von alle dem gibt der Dichter leise Andeutungen, die aber prägnanter zeichnen, als alle Kunst der Beschreibung. Bei seines Neffen Tybalts Tode affectirt er eine grosse Pietät, sein Andenken zu ehren, vergisst das aber bald wieder und macht schon die umfänglichsten Vorbereitungen zu einem grossen Schmause. Charakteristisch ist noch der Zug anscheinender Demuth und Genügsamkeit, als wäre er fern vom Grossthun und Prahlen, während er gleich nachher den grossen und reichen Mann spielt. Der Dichter hat es verstanden, auch diesen Zug in wenigen Worten deutlich und unverkennbar in Capulets Charakter zu legen. Wir sehen hieraus, dass bei ihm von Herz und Gemüth keine Rede sein konnte, eben so wenig davon, dass

irgend ein Glied seiner eigenen Familie an ihm im Unglück einen Haltepunkt hätte haben können.

Die Lady Capulet ist eine eben so kalte, herzlose Natur wie ihr Mann, nur dass sie die äusseren Formen besser zu wahren weiss; die wichtigsten Angelegenheiten einer Mutter, die Heirath ihrer Tochter, bespricht sie mit der Amme, einer innerlich verderbten Natur. In dem Kampfe der beiden Häuser nimmt sie natürlich Partei, und, wie es von ihrem Charakter kaum anders zu erwarten war, müssen Alle, die nicht auf ihrer Seite stehen, allemal Unrecht haben. Obwohl sie den Vorgang bei Tybalts Tod ausführlich berichten hörte, also wohl wissen konnte, wie sehr Romeo Tybalt und seinen eigenen Freunden vom Kampfe abgerathen hatte, auch Tybalts streitsüchtige Natur wohl kennen musste, ja, endlich wusste, dass Tybalt den Mercutio erschlagen hatte, entblödete sie sich dennoch nicht, den Fürsten aufzufordern, Romeo zum Tode zu verurtheilen. Noch schärfer zeichnet sie sich dadurch, dass sie sich dazu verstehen wollte, Romeo zu vergiften, wenn sie nur die Mittel dazu finden könnte. Wir sehen also in ihr eine ganz gewöhnliche Frau, der es an jeder über die oberflächlichsten conventionellen Formen hinausgehenden Bildung, an jeder sittlichen Haltung fehlt.

Tybalt, Juliens Vetter, zeigt sich unabänderlich von grimmigem Hass gegen Alles, was der Familie Montague angehört, oder mit ihr verkehrt, erfüllt; ein junger Rauf bold, der überall Händel sucht, weder Umstände noch Verhältnisse erwägt, und nur dem einen Ziele zusteuert, seine erklärten Feinde zu vernichten. So hatte er nicht wenig Lust, auf Capulets Fest mit Romeo anzubinden, weil er es sich, als Feind des Hauses, herausnahm, das Fest zu besuchen. Sein Aerger ist auch immer von der ärgsten Art: „Ihn todt zu schlagen halte ich für keine Sünde," sagt er zu Capulet, der ihn beschwichtigen will.

Juliens Amme ist eine jener Kreaturen, wie wir sie häufig als wahre Familienstücke sehen und die sich bei der moralischen Schwäche des Hausherrn oder der Hausfrau, oder beider mit der Zeit ganz unentbehrlich machen, darum dann aber auch das ganze Haus beherrschen. So diese Amme: Rathgeberin der Mutter, Vertraute und willfährige Helferin der Tochter, dabei eine unzüchtige Schwätzerin, bringt sie es zuletzt dahin, dass Julie, voller Entrüstung über ihre treulosen Vorschläge, sich auf immer von ihr lossagt.

Romeo's Eltern, die beiden Montagues, sind unbedeutende Persönlichkeiten, die das Vertrauen ihres Sohnes nicht geniessen und auch im Drama nicht so hervortreten wie die Capulets.

Unter Romeo's Freunden ist Benvolio eine schwache Persönlichkeit, die geistig weit unter Romeo steht, sich viel auf seinen vermeintlichen Einfluss auf Romeo zu gute thut, übrigens den Händeln und Raufereien abhold ist. Romeo's Vertrauen besitzt er nur in geringem Maasse.

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Mercutio hat zwar von der Natur ein reichliches Maass geistiger Anlagen zugetheilt erhalten, wovon er durch seinen unverwüstlichen Humor, der sich in immer wiederkehrenden Witz- und Spottreden kund gibt, genügende Beweise liefert. Aber sein geschwätziges und gemüthloses Wesen stossen ab. Jener Humor verlässt ihn selbst in dem Augenblicke nicht, wo er den sicheren Tod vor Augen hat. Als nämlich Romeo ihm Muth einsprechen will und meint, die von Tybalt erhaltene Wunde könne wohl so bedeutend nicht sein, antwortet er: Gerade so tief nicht wie ein Brunnen, auch so weit nicht, wie eine Kirchthür; aber sie ist doch gross genug, um mir den Garaus zu machen.“ Für Mercutio's Situation in dem Augenblicke liegt in diesen Worten wirklich ein unvergleichlicher Humor. Auch noch ein Wortspiel muss er machen mit dem grave man. Die Liebe, Empfindsamkeit, Träumereien, Ahnungen u. dgl. geisselt er ohne Schonung; seine Erzählung von der Feenkönigin ist ein schönes Muster davon. Im Kampfe der beiden Familien ist er es, der dem wüthenden Tybalt einigermassen das Gleichgewicht hält.

Wenden wir uns nun zu den beiden Hauptcharakteren des Drama, so erscheint uns Romeo als ein Jüngling von feiner Bildung, tief innigem Gefühl und glänzenden Anlagen. Wie schön weiss er in der Festscene das Gespräch mit Julien anzuknüpfen? Dass er es mit einem Kusse versüsst, darf nicht auffallen, da es zu Shakspeare's Zeit in England Sitte war,' in öffentlicher Gesellschaft den Damen einen Ehrenkuss zu reichen. Seiner ganzen Natur nach kann er dem oberflächlichen Treiben seiner Umgebung kein Interesse abgewinnen; noch mehr muss ihm der dauernde Hass der beiden Familien zuwider sein; zwar rinnt südliches Blut in seinen Adern, das leicht ins Kochen geräth; aber nicht wie bei einem Tybalt, zur Zerstörung Anderer; auch nicht auf Streit und Zank ausgehend, wie Mercutio; vielmehr könnte man sagen, es wäre jede Wallung gegen sein eigenes Selbst gerichtet; die Liebe

in ihrem edelsten Sinne, aber auch mit der ganzen Allgewalt der Leidenschaft, beherrscht ihn und hat sich jede Fiber seines ganzen Seins und Wesens unterthan gemacht. An jene sinnliche Liebe, die ein Rausch des Augenblicks und mit der Befriedigung erlischt, hat man bei Romeo nicht zu denken; schon in seinem Verhältniss zu Rosalinden, die seine Liebe verschmäht, zeigt er Beständigkeit, so dass seine Freunde wiederholt ihm rathen müssen, von ihr abzulassen; aber auch dieser Rath, der ja nur durch die Sorge um seine Selbsterhaltung eingegeben war, hätte wahrlich Nichts bei ihm gefruchtet, wenn nicht ein ihm geistig verwandteres Wesen Herz und Sinne gefesselt hätte. Und seine Liebe zu Julien, sehen wir, geht über das Grab hinaus.

Seiner Familie entfremdet und seinen Freunden nur äusserlich nahe stehend, fühlt er sich mitten unter der Menge vereinsamt; sein liebewarmes Herz ist einer Liebe bedürftig, die ihm seine Umgebung nicht gewähren kann; er sehnt sich nach einem Gegenstande, den er würde lieben können; bei Rosalinden ist er sich dessen, was er sucht, noch nicht recht bewusst, sonst würde er ihre Liebe nicht so beharrlich gesucht haben. Aber seine Liebe zur kalten Rosalinde zeichnet sich auch sehr deutlich ab von der späteren zu Julien; sie war nur eine Folge jener inneren Leere, die seine Umgebung in ihm liess, nicht durch schon erkannte Vorzüge des Geistes und Herzens hervorgerufen. Diese unerwiederte Liebe quält und foltert ihn in solchem Grade, dass seine Freunde ordentlich besorgt um ihn werden; er wird schweigsam, in seinen kargen Reden oft räthselhaft und unverständlich; er hält sich fern von seinen Freunden und geht auf einsamen Wegen. Der gutmüthige Benvolio kann aller angewandten Mühe ungeachtet doch Nichts zu seiner Aufheiterung beitragen. Romeo schwindet Tag für Tag immer mehr dahin. Mit Mercutio misst er sich noch zuweilen in schlagenden Witzen; aber seine Gemüthlosigkeit stösst Romeo ab.

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Schwer wird es Benvolio und Mercutio, ihn zu bereden, zum Feste der Capulets zu gehen; er sträubt sich, geht aber doch zuletzt fast willenlos mit, und eine bange Ahnung dessen, das kommen musste, durchzuckt ihn. Mir ahnt, dass irgend ein Verhängniss, noch in den Sternen verborgen, mit der heutigen Lustbarkeit seinen unglücklichen Anfang nehme, und das Ziel eines lästigen Lebens, das meine Brust verschliesst, durch einen frühzeitigen Tod herbeiführe. Doch, der das Steuer meines Lebens

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