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führt, der lenke meine Segel!" Der Träumer, wie Mercutio ihn nennen würde, wird prophetisch und der Dichter lässt diese Worte des Nachdrucks wegen die Scene schliessen.

Julie, die Heldin des Stücks, eine noch kaum erschlossene Blume in der ersten Jugendfülle, fast eher noch Knospe zu nennen, ist ein zart gebautes Wesen von feinem Gefühl, scharfer und schneller Auffassungsgabe, wie sie durch ihre sinnigen Antworten an jenem Festabend bewies. In entscheidenden Augenblicken ist sie entschlossen und besitzt den Muth, den gefassten Entschluss in Ausführung zu bringen. Mit der ganzen Gluth der Südländerin in ihren Adern ist sie doch eine durchaus sittliche Erscheinung, züchtig, zurückhaltend, ja, vor dem Begegnen mit Romeo vielleicht noch keiner Liebe bewusst; so kommt uns ihr Benehmen bei Paris Bewerbung vor. Von ihrer Mutter lebte sie meist fern und wurde von ihr kalt und abstossend behandelt; der Vater benahm sich gegen sie bald zärtlich, bald roh über die Maassen; beide überragte sie an geistigen Anlagen und richtigem Gefühl; so konnte sie sich in ihrer Nähe nicht heimisch, nicht glücklich fühlen. Der geschwätzigen Dienerin dahingegeben, deren Begriffe nicht über das Sinnlich-Rohe hinausgehen, musste sie in ihrem Innern eine Leere fühlen, wie wir es schon bei Romeo gesehen. In den Jahren körperlicher und geistiger Entwicklung stehend, von Natur phantasiereich und im Besitze eines erregten Gefühls, musste nothwendig ein, wenn auch noch unbewusstes Verlangen nach einem ihrer würdigen Gegenstande in ihr entstehen. Kein Wunder, dass sie die Werbung Paris, ehe sie Romeo und ihre eigenen Gefühle kannte, gleichgültig aufnahm. Romeo's Bekanntschaft hatte ihrem unbestimmten Verlangen eine bestimmte Richtung und Gehalt gegeben; sehr natürlich, dass sie nun alle auf Paris sich beziehenden Anträge mit Entschiedenheit von sich weist. Wenn dadurch, dass ich Paris sehe," sagt sie zu ihrer Mutter „Liebe in mir erregt werden kann, will ich versuchen, ihn zu lieben." Nach ihrer heimlichen Verheirathung mit Romeo aber: Bei der St. Peterskirche und bei St. Peter, er soll mich nicht zur Braut machen."

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Die Festscene in Capulets Haus beginnt, wie Romeo ahnte, den schrecklichen Verlauf der Ereignisse. Zwei Wesen von gleich vorherrschendem Gefühl, in gleich verlassener Lage, unter dem Drucke gemüthlicher Vereinsamung, aber begabt mit allen Vorzügen des Körpers und Geistes, in deren Adern das rasche Blut

der Südländer rinnt, deren Pulse mächtig schlagen für Alles, was die Saiten des Gefühlslebens erklingen lässt, die, wie die Pole jener mächtigen Naturkraft, ihren ausgleichenden Nebenpol suchen: diese zwei Wesen finden sich inmitten des Taumels jener Alltagsmenschen, die sie gleichgültig an sich vorüber gehen lassen. Was konnte, was musste erfolgen? Sie mussten sich als Wesen gleichen Geistes, gleichen Herzens und gleicher Gesinnung erkennen; sie mussten Neigung für einander fassen und eine Gelegenheit des Wiedersehens suchen. Der Chor am Schlusse des ersten Acts sagt es in einfachen Worten: „Die Leidenschaft gibt ihnen Kraft, die Zeit bietet Mittel, sich zu treffen, das grösste Ungemach mit dem süssesten Balsam mildernd." Die SchlegelTieck'sche Uebersetzung hat diesen Chor weggelassen, weil er „überflüssig" sei; eben so den Prolog zu Anfang des Stücks. Der Dichter wollte aber dadurch dem Zuhörer den rothen Faden durch die Folge der Handlungen sichern; wir sind nicht der Meinung, dass dadurch die Auffassung übermässig erleichtert werde, weil gerade in diesem Stück, so zu sagen, jede Zeile ihre bestimmte Beziehung hat, dem Leser oder Zuhörer also noch vollauf Arbeit übrig bleibt, wenn er auch durch diese Andeutungen in den wesentlichsten Punkten geleitet wird.

Die nächste Folge dieses Sichfindens und Verstehens zweier für einander geschaffener Wesen ist die Gartenscene. Sprösslinge feindlicher Häuser, konnten sie keine Hoffnung haben, sich je einander wieder zu nähern, wenn nicht eine aussergewöhnliche Leidenschaft sie zu aussergewöhnlichen Wagnissen trieb. Romeo wagt sich mit der grössten Gefahr, die ihn, wäre er entdeckt worden, Alles befürchten liess, unter dem Schleier der Nacht bis in den Garten seines Todfeindes, mit der schwachen Hoffnung, die Geliebte vielleicht von fern durch das Fenster zu erblicken; dass er eine Unterredung mit ihr würde anknüpfen können, liess sich nicht erwarten; eine Verabredung hatte zwischen ihnen nicht statt gefunden, auch musste Romeo noch zweifelhaft sein, ob sie ihn auch wieder liebe, denn er sagt ja dort im Garten: „O, es ist meine Geliebte; o, wüsste sie doch, dass sie es ist." Aber der Leser weiss ja schon, was Romeo nicht wissen konnte, dass sie ihre Amme beim Weggehen der Gäste fragt, wer Jener sei, der nicht tanzen wollte, und gleich hinzusetzt: wenn er verheirathet ist, wird mein Grab mein Brautbett sein." Er fasst aber doch eine leise Hoffnung, dass Julie ihn nicht gleichgültig angesehen, denn er sagt ja zu Lorenzo: „Eine hat mich verwundet, die von

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mir verwundet ist."

Was war bei solcher Stimmung natürlicher, als dass sich Gedanken und ihr ganzes Sein in der Abgeschiedenheit, in der sie zu Hause lebt, sich mit dem Gegenstande ihrer so unverholenen Liebe beschäftigte? In später Stunde der Nacht, Romeo war jene Nacht gar nicht nach Hause, sondern am Morgen aus Capulets Garten gleich zum Bruder Lorenzo gegangen wandert sie noch im erleuchteten Zimmer herum, spricht auch, wohl zum Fenster hinaus in die Stille der Nacht hinein. Romeo sieht die Angebetete, hört ihre Worte, hört, dass sie ihn betreffen, dass sie die feurigste Liebeserklärung aussprechen. „Lege deinen Namen ab, und für deinen Namen, der ja doch kein Theil von dir, nimm mich hin. ganz Ich nehme dich beim Worte," antwortet Romeo, „nenne mich nur deinen Geliebten, so will ich mich von Neuem taufen lassen: ich will von nun an nicht mehr Romeo sein."

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Man hat bei dieser Gartenscene viel gegen die keusche Sittsamkeit der bis dahin sich schüchtern zurückhaltenden Jungfrau einzuwenden gesucht. Aber wenn man zunächst die Verhältnisse erwägt, die wir oben zu zeichnen versucht haben, wenn man bedenkt, dass durch den fortdauernden Kampf, der ihr ein Greuel sein musste, durch die geistige und gemüthliche Oede ihrer Umgebung, ihr gemüth- und liebereiches Wesen auf's Aeusserste gefoltert wurde, wird man es da unnatürlich, unkeusch finden, dass sie, sich mit der stillen Nacht allein wähnend, der Fülle ihrer Gedanken und Gefühle Worte leiht? Gerade dieses unumwundene Sichgestehen der innersten Gefühle, die sie bewegen, ist ein unübertreffliches Abbild ihrer Natürlichkeit und sittlichen Reinheit und Unschuld; freilich nicht für den Salon geeignet; aber da möchten wir auch nicht so offene Geständnisse der inneren Regungen hören. ,Wenn du deinen Namen nicht ablegen willst, so schwöre nur, dass du mein Geliebter bist, so will ich nicht länger eine Capulet sein," ist in dieser Lage und unter diesen Verhältnissen das Schönste, was ihr vom Dichter in den Mund gelegt werden konnte. Nun aber erfährt sie, dass ihr Romeo Alles gehört hat; soll sie es zurücknehmen? soll sie die Heuchlerin spielen? das kann die Reine, Unschuldsvolle gewiss nicht. Sie will aber eine ehrenvolle Verbindung mit ihm, daher trägt sie ihm die Heirath an. Wenn doch die Sittenrichter, die immer nur die künstlich gemachten Salonverhältnisse im Auge haben und die Julie verdammen, weil sie den Anforderungen dieser nicht genügt und die für solche Verhältnisse sehr weise gesetzten Schranken

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alle Augenblicke durchbricht, bedenken wollten, wie viel niedriger sie ohne diesen Antrag gestanden hätte. Natürlich kann kein richtiges Urtheil sich ergeben, wenn wir einen dem vorliegenden Fall nicht entsprechenden Maassstab anlegen.

Von hier ab greift Bruder Lorenzo thätig in das Getriebe der beiden Liebenden ein. Lorenzo ist ein Mann, ausgerüstet mit einer Menge von Lebenserfahrungen, womit er eine genaue Kenntniss der Natur, besonders der Pflanzenwelt verbindet. Durch ein langes beschauliches Leben hat er sich eine gewisse Lebensphilosophie und Weltanschauung gebildet, die ihn in Stand setzt, Anderen mit Rath und That beizustehen. In seiner Umgebung gilt er für einen weisen und heiligen Mann, an den sich Bedrängte aller Art wenden, von denen er keinen ungetröstet lässt. Sein geistlicher Beruf öffnet ihm die Herzen Vieler und verschafft ihm eine Gelegenheit, in so manche Verhältnisse hineinzublicken, die sonst Jedem verschlossen bleiben.

Auch unsere Liebenden wenden sich in ihrem Drangsale an ihn. In der Hoffnung, das Bündniss zwischen Romeo und Julie werde den unheilvollen Streitigkeiten ein Ende machen, willigt Lorenzo ein, sie zu trauen. In guter Absicht thut er hier den ersten Schritt von einer Folge von Handlungen, die ihn zuletzt mit in das Schicksal der beiden Opfer verwickeln. Diese konnten glücklich ausfallen und sein Thun wäre dann ein Segen für Alle geworden, die den beiden Familien angehörten; sie konnten misslingen, wie es wirklich geschehen, weil eben nicht alle Bedingungen eines glücklichen Verlaufes erfüllt waren: so musste die nur Gutes beabsichtigende Handlung Lorenzo's zum Fluch für beide Häuser werden. Darum empfängt auch Lorenzo den Romeo, als dieser zur Trauung kommt, ahnungsvoll mit den Worten:,,So lächle der Himmel dieser heiligen Handlung, dass die Zukunft uns nicht durch Kummer schelte!"

Das Unglück lässt nicht lange auf sich warten. Mercutio fällt durch Tybalts Hand, Tybalt durch Romeo's. Das Bündniss unserer beiden Liebenden konnte ein ungestörtes und glückliches nur werden, wenn der Hass der beiden Häuser beschwichtigt und die Streitigkeiten zwischen ihren Anhängern beigelegt worden wären; durch diese letzten Vorfälle aber war natürlich die Aussöhnung abermals in weite Ferne gerückt. Man denke aber nicht, dass ein blosser Unstern über den Betheiligten walte, oder dass sie einem herben Missgeschick erliegen. Was sie betrifft,

haben sie selbst verschuldet durch ihre eigenen Handlungen, und diese wieder sind nothwendige Folgen der zur Leidenschaft gewordenen Liebe. Lorenzo sagt's deutlich in seinem ersten Monologe: „Es giebt nichts so Schlechtes auf der Erde, das nicht etwas Gutes schaffen könnte, und nichts so Gutes, das nicht, im Uebermaass gebraucht, seiner Natur untreu wird und in Missbrauch ausartet. Die Tugend selbst wird, unrichtig angewendet, zum Laster, und das Laster wird zuweilen durch die Ausübung geadelt. In der jungen Rinde dieser schwachen Blume wohnt Gift und Arznei; durch ihren Geruch erfreut sie den ganzen Körper, gekostet, tödtet sie alle Sinne mit dem Herzen zugleich. Zwei solche entgegengesetzte Kräfte setzen sich auch im Menschen fest, gerade wie in den Pflanzen, Anmuth und störrischer Eigenwille, und wo die schlechtere vorherrscht, eine solche Pflanze frisst der zerstörende Tod bald auf." Dies findet genaue Anwendung auf Romeo's Zustand. So weit seine Liebe zu Julien innerhalb der Schranken der Vernunft sich hält, verleiht sie ihrem Besitzer Anmuth, d. h. eine Fülle von guten und edlen Eigenschaften; so wie aber diese von Natur schöne und gute Eigenschaft, wie bei Romeo, zum Uebermass gesteigert und zur Leidenschaft wird, die Alles gegen den natürlichen Lauf der Dinge durchsetzen will, so zerstört sie sich als störrischer Eigenwille (rude will) selbst.

Nach der Gartenscene erschien Romeo auch seinen Freunden heiterer, sich selbst wieder mehr zurückgegeben, während er früher ganz dem Gram angehört hatte. ,,Nun bist Du gesellig, nun bist Du Romeo," sagt Mercutio zu ihm. Aber seine neu angeknüpfte Liebe verheimlicht er seinen nächsten Freunden noch sorgfältiger, als sein früheres Verhältniss zu Rosalinden. Und diese Verschlossenheit gerade ist es, was ihn in's Unglück stürzt: man wird sich nämlich erinnern, wie Mercutio in seiner humoristisch-witzelnden Weise mit Tybalt anbindet und ihn eigentlich zum Kampfe herausfordert; Tybalt ist an dem Streite mit Mercutio unschuldig, er suchte blos mit Romeo Streit. Wenn aber Mercutio das Geringste von dem neu geschlossenen Bündniss Romeo's gewusst hätte, würde er wohl in eben so leichtsinniger Weise Händel mit Tybalt gesucht haben? Gewiss nicht. Mercutio's Tod feuert Romeo zur Rache an Tybalt an; er erschlägt ihn und wird verbannt. Ohne Mercutio's Tod wäre der friedfertige Romeo mit Tybalt gewiss in keinen Kampf verwickelt worden, um so weniger, da er ja alle Ursache hatte, den Frieden

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