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§ 5. am grössten und eine Krise des heimischen Staatslebens eingetreten ist oder einzutreten droht. Mit politisch so befangenen Blicken sehen sie das englische Vorbild an und konstruieren in das englische Recht jene Tatsachen hinein, die man als die notwendigsten für die weitere heimische Staatsentwicklung ansieht.

Angeregt durch den Kampf, den die Regentschaft des Herzogs von Orléans mit den französischen Parlamenten zu dieser Zeit geführt (s. darüber auch Aulard, histoire politique de la Revolution francaise 1901 p. 13 ff.), hat Montesquieu die ihm von Locke und Bolingbroke überkommene Theorie der Dreiteilung der Gewalten mit ihrem gegenseitigen Gleichgewicht in England wiederzufinden geglaubt, nur dass er neben die gesetzgebende und exekutive Staatsgewalt, nicht wie Locke die Staatsverträge schliessende, sondern die unabhängige richterliche Gewalt, welche Frankreich damals am meisten not tat, setzt. Montesquieu's Methode ist politisch-vergleichend, nicht rechtsvergleichend, weil man damals die Scheidung von Recht und Politik nicht kennt. Sie verführt ihn zu jener falschen politischen Anschauung, dass in England die von ihm gewünschte Dreiteilung der Gewalten verwirklicht sei.

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Ehe die deutsche Nation mit Montesquieu's Lehren allgemein und nachhaltig erfüllt wird, ersteht ihr an der Schwelle des 19. Jahrhunderts der erste gründliche Kenner englischen Rechts, Ludwig von Vincke. Er schildert rein deskriptiv, indem er sich wie sein Freund Niebuhr von ihm erzählt bei jedem Verwaltungszweig die Frage vorlegt, wie derselbe wohl in England betrieben werde. Seine Schilderung englischer Verhältnisse in seinem Schriftchen „über die innere Verwaltung Grossbritanniens" ist so wahrheitsgetreu, dass der Freiherr von Stein Abstand davon nimmt, englische Verwaltungsorganisation in Preussen nachzuahmen, trotzdem Vincke sie wärmstens empfiehlt. Vincke's Methode ist die staatswissenschaftliche, welche durch Adam Smith und dessen deutsche Schüler, Thaer, Kraus, Jacob u. A. bei uns damals herrschte. Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik schlummern in ihr friedlich nebeneinander, ganz so wie in den von Büsch damals gelehrten Handlungswissenschaften, Handelsrecht und Handelswissenschaft.

Diese staatswissenschaftlich deskriptive Methode ist nur zu ehrlich um lange Schule zu machen. Zur Erreichung dieses Zieles musste man damals Verfassungsrezepte aus England in Montesquieu'scher Manier zu holen verstehen. Dies geschieht auch, als die siegreiche Nation nach den Befreiungskriegen die nach englischem Vorbilde einziger Träger dieser angeblich längst bestehenden Anschauung, wonach man Gneist mit Vorsicht behandeln müsste, wird angegeben". (Redlich bei Grünhut XXX, S. 571.) Darauf erwidere ich, dass ich mit Rücksicht auf die obige Feststellung, wonach ich noch vor dem Erscheinen des Redlich'schen Buches meine Stellungnahme zu Gneist präzisiert, wohl berechtigt war zu meinen, von Herrn Redlich inkriminierten Worten: „Auch andere Punkte der Gneistschen Darlegungen geboten und gebieten, soferne sie positives englisches Recht schildern, vorsichtige Aufnahme, weil sie etc. . . .' Man vergleiche dazu nun auch Ernst v. Meier, der bei Würdigung von Herrn R.'s Buch ausdrücklich sagt: (Kohlers Rechtsencyklopädie 1903, II. Bd., S. 713 Anm.): „Auch mit der Bekämpfung Gneistscher Lieblingsvorstellungen hat er (R.) im grossen und ganzen Recht, wobei jedoch nicht übersehen werden darf, dass diese Theorie weder von der Wissenschaft noch von der Praxis jemals in complexu recipiert, vielmehr sei es stillschweigend oder, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, ausdrücklich abgelehnt worden ist, z. B. von mir. . . .“. Uebrigens habe ich auch den Versuch des Herrn Redlich als sehr anerkennenswert (p. 295 Kr. V. J. a. a. O.) bezeichnet, nur fand ich das Ergebnis desselben mager und nicht abschliessend, weil Herr R. ohne Kenntnis der preuss. Verfassungsverhältnisse Gneist kritisiert und bei seiner Darlegung englischer Verhältnisse nicht weniger utopisch verfährt als der von ihm kritisierte Meister. Auch darin finde ich mich noch jetzt in vollster Uebereinstimmung mit Ernst v. Meier a. a. O. S. 713 Anm. Ich überlasse es nach diesen Feststellungen den Fachgenossen, zu beurteilen, ob ich das Verdienst des Herrn R. wissentlich geschmälert habe.

gefertigte französische Charte Ludwigs XVIII. in Gestalt der süddeutschen Ver- § 5. fassungen auf unseren vaterländischen Boden zu verpflanzen versucht. Nun erfolgt die gründlichste Rezeption englischen Rechts, eine Rezeption in complexu. Englisches Recht gilt nicht bloss, sofern es in den Staatsverfassungen Aufnahme gefunden, sondern auch ausserhalb des Gesetzes als „lebendige Vernunft" jedes öffentlichen Rechtslebens. Blackstone und De Lolme, deren Autorität jener der römischen Juristen bei uns gleichkommt, predigen das „monarchische Prinzip“ und daher lassen die deutschen Regierungen der Rezeption englischen Rechts freien Laut, ja sie fördern sie, ohne viel darüber nachzudenken, ob die englischen Rechtsinstitute auf heimischen Boden übertragbar seien.

Diese Rezeption dauerte so lange, als sich die deutsche Nation jenen Scheinkonstitutionalismus gefallen liess. Das Jahr 1830, die Julirevolution bringt ein anderes Schlagwort auf: den Parlamentarismus, d. i. die Einrichtung von Parlamenten mit parlamentarischer, der Majorität des Parlaments entnommener Regierung. Der Musterstaat für Deutschland ist nicht mehr England, sondern Frankreich und Belgien. Doch schon zu Beginn der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts wird man darüber belehrt, wie das französische Bürgerkönigtum seine Musterverfassung zu einer Oligarchie der besitzenden Klassen eingerichtet, wie sehr die heissersehnte individuelle Freiheit unter dieser Klassenherrschaft darniederliege. Die Opposition in der französischen Deputiertenkammer, die Staatsprozesse Weidig in Hessen und Jordan in Kurhessen, dies alles macht den Ruf nach Garantien der individuellen Freiheit in Frankreich und in Deutschland laut erschallen. Als solche Garantien galten damals besonders der englische Strafprozess und die Geschworenengerichte. In Frankreich sorgen Danou, Cottu, Rey und Cherbouliez, in Deutschland Mittermaier und insbesondere Gneist für die Verbreitung jener Ansicht. So sind Gneist's englische Studien von vornherein durch 2 Momente bestimmt: durch das Freiheitsproblem im öffentlichen Rechte und durch die Abkehr vom Parlamentarismus.

Gneist ging bei seinen englischen Studien von der Frage nach der Zweckmässigkeit und Einrichtung der Geschworenengerichte aus, um die Wurzel derselben im englischen Selfgovernment aufzufinden, und diesen Satz verallgemeinerte er dahin, dass das Fundament jeder Staatseinrichtung das Selfgovernment sei. So berechtigt nun dieses Selfgovernment von Gneist damals in den Mittelpunkt der preussischen Reformen, wie wir oben sahen, gestellt wurde: es musste sich jedenfalls ein Zerrbild ergeben, wenn man mit diesem daheim so gewonnenen Selfgovernment an die Betrachtung der englischen Verhältnisse ging. Dies tat nun Gneist und verfiel damit auch in denselben Fehler, wie Montesquieu: er konstruierte England aus dem Gesichtswinkel seines Selfgovernments, wie Montesquieu aus dem der Dreiteilung der Gewalten.

Betrachten wir nun im einzelnen das Bild des englischen Staats, das uns Gneist in der Geschichte und heutigen Gestalt der Aemter in England, 1857“ (später Selfgovernment" betitelt) entwirft:

Als Fundament des Staats denkt er sich ein Selfgovernment, d. i. die Verwaltung der Grafschaften und Ortsgemeinden nach den Gesetzen des Landes durch Ehrenämter und Kommunallasten. Diese Kommunalverbände haben keine Autonomie. Ihre Autonomie ist schon seit Jahrhunderten gebrochen. Es existiert hier keine kommunale Dezentralisation in dem Sinne, dass den Gemeinden ein Recht auf Ausübung ihrer Verwaltungsaufgaben gegeben wäre, sondern nur strengste Zentralisation. Dies ist eben die bleibendste Erkenntnis, die wir Gneist danken, die er allerdings nur politisch fasst, die wir aber juristisch dahin präzisieren können, dass die

§ 5. englischen Kommunalverbände Verbände, aber keine Korporationen sind, dass Selbstverwaltung in England Staatsverwaltung ist, welche beinahe das ganze Heer unserer bureaukratischen Unter- und Mittelinstanzen in der Verwaltung überflüssig macht. Die Männer, die das Selfgovernment handhaben, die Ehrenämter ausfüllen, die Kommunalsteuern zahlen, sind nach G neist die alte landed gentry, jener alte Grundadel der als seine vornehmste Aufgabe die Selbsttätigkeit im parlamentarischen Leben und im kommunalen Ehrenamte als Friedensrichter, als Sheriff erblickt, und der mittlere Grundbesitz, der sich damit zufrieden gibt, seinen Geschworenendienstpflichten und seinen Steuerpflichten nachzukommen. Hier liegt nun ein Konstruieren in Montesquieu'scher Weise vor. Weil in der preussischen Verfassungsreform seit 1848 Grossgrundbesitz und Landadel wieder restauriert werden müssen, deshalb soll in England um die Mitte der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts jene alte gentry des 18. Jahrhunderts wieder ausgegraben werden, als das Ideal eines pflichtgetreuen Adels. Gneist ignoriert hierbei die Entwicklung des englischen Selfgovernment seit 1832. Als nämlich die Reform in England durch Erweiterung des parlamentarischen Wahlrechts dem Kapitalismus Teilnahme am Parlamente gewährte, da wurde es alsbald auch klar, dass die alte, damals wohl verknöcherte landed gentry und ihre aristokratische Herrschaft im Selfgovernment nicht mehr genügten, dass zur Ergänzung der friedensrichterlichen die Tätigkeit gewählter Kommunalbehörden, der sog. local boards hinzutreten müsse, um dem aristokratischen Regime der von der Krone ernannten Friedensrichter das Gegengewicht zu halten. Diese local boards waren schon seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts ins Leben getreten und haben sich seit jener Zeit bis auf den heutigen Tag so vollkräftig entwickelt, dass sie immer weitere Verwaltungsgebiete ehemaliger friedensrichterlicher Tätigkeit an sich gezogen haben oder zum mindesten im Verein mit den Friedensrichtern besorgen. Das Wirken dieser local boards ignoriert Gneist, weil sie in den Rahmen seines Staatsideals für das damalige Preussen nicht passen. Er schilderte sie als gewissen- und pflichtenlose Interessengemeinschaften, bezeichnet sie als eine Art kapitalistischer Verwaltungsräte von Aktiengesellschaften, in welche diese boards die Gemeinden umzuwandeln drohten, weil sie aus Wahlen hervorgehen, die einen Census auch unabhängig vom Grundbesitz in der Gemeinde voraussetzen. In dieser Loslösung der Kommunalrechte von Grund und Boden erblickt Gneist das gefährlichste Symptom des fortschreitenden Kapitalismus und in diesem den gefährlichsten Konkurrenten des Landadels. Dass, wie wir dies heute sehen, Friedensrichter und local boards, landed gentry und industrielles Kapital durch eine stramme Zentralgewalt zu gemeinsamer Tätigkeit im Dienste der Selbstverwaltung vereinigt werden könnten, kam ihm damals um so weniger in den Sinn, als das englische Selfgovernment diese Kraftprobe recht eigentlich erst seit den 70er Jahren des 19. Jahrhundert bestanden hat. Das Vorurteil gegen die gewählten boards gab aber Gneist zeitlebens nicht auf.

Auch die Vorzüge des englischen Kommunalsteuersystems hat Gneist zum mindesten überschätzt, vor allem die Tatsache, dass die englischen Kommunalsteuern Realsteuern sind, die auf Grund und Boden ruhen und den jeweiligen Inhaber treffen. Gerade das fortwährende Anwachsen der den englischen Gemeinden vom Staate übertragenen Aufgaben stand und steht immer im Konflikt mit der Tatsache, dass die Kosten dieser überwiesenen Verwaltungsaufgaben nicht immer am zweckmässigsten durch Grundsteuern aufgebracht werden können, weil Grundbesitz nicht immer der richtigste Massstab für die aus jenen Verwaltungsaufgaben gezogenen Vorteile der Kommunalangehörigen ist. Sodann erblickt Gneist auch einen Vorzug dieses Kommunalsteuersystems in der gesetzlichen Fixierung des Steuerfusses und der hierdurch hervorgeru

fenen Gleichmässigkeit der Besteuerung, die übrigens in England nie bestanden hat § 5. und nicht besteht. Auch hier legt Gneist in englische Verhältnisse das hinein, was Preussen 1848/49 not tat: ein Kommunalsteuersystem, ruhend auf Grund und Boden, um den Landgemeinden den inneren Zusammenhalt und das Ansässigkeitsgefühl zu erhalten, eine gesetzliche Fixierung des Steuerfusses, um die Steuerabwälzung auf die in den Gemeinden schwächer vertretenen Interessengruppen zu verhüten.

Weil schliesslich Gneist so sehr die alte landed gentry in ihrer friedensrichterlichen Tätigkeit und das englische Kommunalsteuersystem überschätzt, weil er die Tätigkeit der gewählten boards ignoriert, wertet er auch die parlamentarische Regierung in England gering.

Er führt die Entstehung der parlamentarischen Regierung in England auf die Zeit nach der Reformbill von 1832 zurück. Daher ist ihm parlamentarische Regierung und das Aufstreben des industriellen Kapitalismus, wie solches wirklich seit 1832 erfolgte, identisch und bedeutet für ihn den Verfall Englands. Weil der eben erwachte Parlamentarismus in Preussen wie im übrigen Deutschland damals so bald ausgespielt hatte, ist er nach Gneist's Auffassung ein Unglück auch für England. Denn das Parlament, die herrschenden Klassen, insbesondere der industrielle Kapitalbesitz, drücken auf das Partei-Ministerium; dieses auf die willenlosen local boards und auf deren besoldete Beamte. Gneist betrachtete eben hier englische Verhältnisse wieder durch die Brille des kontinentalen Beobachters, dem der heimische Parlamentarismus Wechselfällen und heilloser Parteiwirtschaft ausgesetzt erschien. Er will die englische Geschichte aufhalten, den Einfluss der alten landed gentry zu neuem Leben erwecken und die neue Parlamentsherrschaft zum alten Eisen gestellt sehen.

Trotz der fehlerhaften Einzelheiten kann die geniale Konzeption in Gneist's Darstellung des englischen Rechts nicht hoch genug gewürdigt werden. Wie Montesquieu die Dreiteilung der Gewalten, so hat auch Gneist das Selfgovernment in die englischen Verhältnisse hineinkonstruiert, aber er erhebt sich auch über das Niveau Montesquieu's durch die Feststellung von unvergänglichen Wahrheiten. Bleibend ist Gneist's Erkenntnis, dass Englands Staatsverwaltung vorwiegend ein Selfgovernment durch Ehrenämter und Steuern im Nachbarverbande sei. Bleibend ferner Gneist's Lehre, dass England für uns insofern ein Musterland ist, als infolge der Kontinuität seiner Rechtsordnung der Gegensatz zwischen Verwaltungs- und Verfassungsrecht überhaupt nicht gekannt wird. Jeder einzelne englische Verwaltungsrechtssatz ist infolge der Durchbildung des englischen Rechts bis in die kleinsten Punkte doch schliesslich auf ein oberstes Rechtsprinzip zurückzuführen, das meist common law ist. Darin liegt die Bedeutung der Unantastbarkeit der common law. Wir auf dem Kontinent hatten der ausgebildeten Verwaltungsordnung des Polizeistaats die konstitutionelle Verfassungsform erst aufdrücken und diese Rechtskomplexe zusammenschweissen müssen ja wir tun es auch noch heute unausgesetzt. Das ist eben das Problem des richtig verstandenen Rechtsstaats. Daher wird uns England, das seine Rechtsordnung wie aus einem Gusse fertiggebracht, immer als Vorbild dienen. Doch darf dies nicht zur sklavischen Nachahmung des fremden Rechts führen. Gneist selbst sagt hierüber: „Englische und französische Staatsbildung können für uns ein Mittel der Erkenntnis unseres Selbst sein, die der deutsche Geist so gerne in weiter Ferne sucht. Die wirkliche Gestaltung unseres Staatswesens kann schon deshalb weder dem englischen noch dem französischen folgen, weil es in vielen seiner Grundlagen tüchtiger, weil es in der geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Entwickelung der Massen des Volks sowohl England als Frankreich überlegen ist."

Diese Worte Gneist's lenken unser Auge hinüber zu seiner methodischen Be

§ 5. handlung fremden Rechts. Es ist die historische und rechtsvergleichende Methode, die Gneist zum erstenmale auf wirklich juristische Grundlagen setzt. Montesquieus Methode war bloss politisch-vergleichend, die Vinckes eine rein deskriptive, ohne zu vergleichen und mit heimischen Rechtsverhältnissen zu kontrastieren. Die Methode der Rezeption englischen Rechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts trug zwar juristisches Rüstzeug der konstitutionellen Doktrin aus England herüber, ohne die Verschiedenheit der sozialen und historischen Verhältnisse zu berücksichtigen.

Alle diese Irrtümer vermeidet Gneist. Seine Methode ist durch ihren historischen Grundzug jener Rezeptionszeit überlegen. Hierin erkennen wir eben Gneist als würdigen Schüler Savigny's.

Aber auch Vinckes Methode überholt er, weil er fremde Rechtsverhältnisse nicht bloss beschreibt, sondern mit den heimischen kontrastiert und Montesquieu's Methode lässt er weit hinter sich, da er fremde Rechtsverhältnisse nicht bloss politisch, sondern auch juristisch wiederzugeben versteht. Doch in dieser juristischen Wiedergabe liegt, wie sein Vorteil, so auch sein Nachteil gegenüber Montesquieu. Er konstruiert das fremde Recht nicht mit dessen Rechtsbegriffen, sondern mit den heimischen, preussisch-deutschen. Wie dies zu vermeiden ist, wird am Schlusse dieses Kapitels ausgeführt werden. Hier genügt es darauf hinzuweisen, dass die Ziele uns schon von Gneist, dem Begründer wirklich rechtsvergleichender Methode gewiesen worden sind, nämlich: Die „Erkenntnis des eigenen Selbst" wie er sagt, die Erkenntnis der heimischen Rechtsinstitute durch den Kontrast mit den ausländischen. Wir bewahren uns vor dem Glauben an logische unwandelbare Rechtskategorien, wenn wir sehen, dass ein politischer Effekt mit anderer Rechtstechnik erzielt wird, als unsere eigene ist.

Ausser diesem erkenntnistheoretischen verfolgt die rechtsvergleichende Methode auch einen gesetzgebungspolitischen Zweck, und Gneist hat, wie wir wissen, dem letztern in hohem Grade nachgestrebt. Derselbe besteht darin, vor missverständlichen Rezeptionen fremden Rechts zu warnen, weil ausländisches Recht, stückweise aus dem historischen und sozialen Milieu und aus der heimischen Rechtsordnung herausgerissen, auf fremdem Boden ein Torso bleiben muss. Freilich hat Gneist selbst unter dem Schlagwort der anwendbaren Grundsätze des fremden Rechts" es so glänzend verstanden, fremde Rechtsinstitute zu rezipieren, so dass man ihnen in unserem Recht entsprechende funktionelle Bedeutung zuweisen konnte. Aber dies war nicht mehr Rezipieren, sondern Adaptieren!

§ 6. Die englische Schule der Analytiker und die von Summer Maine geleitete

Reaktion

(die rechtsvergleichende Methode).

Das unbefriedigende Resultat der Durchleuchtung des englischen Staatsrechts durch die Dreiteilung der Gewalten empfand man in England viel früher als auf dem Kontinente. Die Reaktion dagegen war jedoch ein Schnitt ins eigene Fleisch. Gegen die Aufputzung des englischen Staatsrechtes mit dem Montesquieu'schen Schema, wie sie Blackstone versucht und mit Verleugnung des realen Staatslebens -- wie wir gehört haben durchgeführt hatte, trat vor allem Jeremias Bentham (1748-1832) 1) auf, der geistige Vater von John Austin (1790--1860) und der gesamten

1) Ueber denselben Mohl a. a. O. III, p. 495 ff. Montague, A Fragment on Government by Jeremy Bentham, London 1891, Introduction 1-90. Ch. N. Gregory, Bentham and the Codifiers, Harvard Law Review 1900, vol. XIII, p. 344–357. — C. Kenny, Spanish View of Bentham's Spanish Influence Law Q. Review 1895, vol. 11,

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