Imatges de pàgina
PDF
EPUB

Bericht

über die Jahresversammlung zu Weimar

am 23. April 1873.

Die neunte Jahresversammlung der Deutschen ShakespeareGesellschaft wurde am obengenannten Tage zu Weimar abgehalten und durch den (vorstehend abgedruckten) Festvortrag des Herrn Freiherrn Vincke über Shakespeare und Garrick eingeleitet. Der Herr Präsident Professor Dr. Ulrici erstattete hierauf den Jahresbericht, welcher ein im Ganzen befriedigendes Bild von dem Stande und den Verhältnissen der Gesellschaft gab. Bezüglich der Rechnungsprüfung und Entlastung wurde beschlossen, das übliche Verfahren innezuhalten. Sodann wurden die statutenmässig ausscheidenden vier Vorstandsmitglieder durch Acclamation wieder gewählt und auf Vorschlag des Vorstandes Weimar zum Ort der nächstjährigen Versammlung bestimmt. Endlich gelangte ein Antrag des Herrn Professor Dr. Leo zur Annahme, dass von der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft für die Studirenden der Berliner Akademie für moderne Philologie ein alle zwei Jahre zu vertheilender Preis für die beste Lösung einer von der Gesellschaft zu stellenden Preisaufgabe gestiftet werden solle. Mit der Ausführung dieses Beschlusses wurde eine Kommission betraut, zu deren Mitgliedern ausser den Antragsteller die Herren Professor Dr. Ulrici und Professor Dr. Elze erwählt wurden. Das Jahrbuch (Band VIII.) konnte diesmal nicht zur Vertheilung kommen, weil durch den Setzer-Strike das rechtzeitige Erscheinen desselben unmöglich gemacht worden war, doch wurde die demnächstige Versendung in sichere Aussicht gestellt. Noch ist zu erwähnen, dass in Gemässheit eines Vorstandsbeschlusses die Herren Professor Dr. Ulrici, Kommerzienrath Oechelhäuser und Professor Dr. Leo es übernahmen, die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft bei der am 31. Mai 1873 zu Dresden Statt findenden hundertjährigen Geburtstagsfeier Ludwig Tieck's zu vertreten.

Ist Troilus und Cressida
Comedy oder Tragedy oder History?

Von

H. Ulrici.

Bekanntlich existirt von Troilus und Cressida eine Quartausgabe

aus dem Jahre 1609. Auf dem Titelblatt derselben ist das Stück als,,Historie" bezeichnet, in der Vorrede dagegen wird es zu den ,,Comedies" gerechnet, und in der Folio von 1623, in der es zwischen den historischen Dramen und den Tragödien steht, heisst es „Tragedie." Da Heminge und Condell, die Freunde und Genossen Shakespeare's, wissen mussten oder doch wissen konnten, welchen Namen der Dichter selbst seinem Werke gegeben, so würde ihre Bezeichnung desselben die Frage entscheiden, wenn nicht aus den verschiedenen Signaturen der Druckbogen sich klärlich ergäbe, dass das Stück zwischen König Johann (der letzten,,Historie") und Coriolan (der ersten,,Tragedie") erst später nach vollendetem Druck eingeschoben worden ist. Der Grund dieser auffallenden Erscheinung lässt sich natürlich nicht mehr ermitteln; es ist müssig, sich in Hypothesen darüber zu ergehen. Genug, Heminge und Condell sahen sich genöthigt, dem Stücke noch nachträglich einen Platz anzuweisen, und sie wählten denjenigen, der nach der Lage der Dinge, d. h. der Signaturenreihe, Bogenfolge und Bogenfaltung, der passendste sein mochte. Diese rein äusserlichen Gesichtspunkte bei ihrer Wahl obwałten zu lassen, waren sie insofern einigermaassen berechtigt, als das Drama nach Inhalt und Form so eigenthümlicher Natur ist, dass sich darüber streiten lässt, zu welcher Gattung es gehöre, und dass ja auch der Herausgeber der Quartausgabe nicht wusste, ob es zu den Historien oder den Komödien zu zählen sei. Natürlich musste es einen dem ihm angewiesenen Platze entsprechenden Namen erhalten; und da

mochte ihnen der Name Tragedie immerhin noch passender scheinen, als der Titel Historie, unter dem es in der (wahrscheinlich gestohlenen) Quartausgabe veröffentlicht war.

Unter diesen Umständen ist die obige Frage nicht nur erlaubt und für den Aesthetiker von Bedeutung, sondern es knüpft sich an die Entscheidung derselben die interessante weitere Frage, ob wir berechtigt seien, anzunehmen, dass Shakespeare zur Abfassung des Stückes von einer parodisch-satirischen Tendenz, wenn auch nur als beiläufigem Nebenmotiv, veranlasst worden sei.

Bisher ist Troilus und Cressida von den meisten Kritikern als Komödie betrachtet worden. Hertzberg in der Einleitung zu seiner trefflichen Uebersetzung des Stücks bestreitet diese Ansicht, und er erklärt es für ein ,,ernstes" Drama, in das der Dichter nur eine Anzahl komischer Scenen eingeflochten habe. Natürlich leugnet er demgemäss auch die parodisch-satirische Tendenz, wenigstens soweit sie gegen das Alterthum und namentlich gegen Homer gerichtet sein solle.

Es versteht sich von selbst, dass er in letzterm Punkte Recht hat, wenn seine Prämisse richtig ist; denn von einem ,,ernsten" Drama ist das parodisch-satirische Element nothwendig ausgeschlossen. Aber eben diese Prämisse muss ich meinerseits bestreiten, und glaube nachweisen zu können, dass Shakespeare, wenn er auch das Stück nicht ausdrücklich als Komödie bezeichnet haben sollte, ihm doch absichtlich ein komisches Gepräge aufgedrückt hat.

Für die Entscheidung dieser Streitfrage ist es gleichgültig, aus welchen Quellen Shakespeare den Stoff geschöpft, ob er die homerische Dichtung gekannt, ob er bei seiner Arbeit an Ben Jonson und dessen Bemühungen für die sogenannte Renaissance der Kunst und Poesie gedacht habe oder nicht. Die Frage ist rein und einfach aus Inhalt und Form des Stückes selbst, aus der Fassung der Charaktere, der Führung der Action, der Sprache und der Composition des Ganzen heraus zu beantworten.

Da erscheint es nun zunächst doch höchst auffallend, dass Shakespeare den Thersites der mit der Geschichte von Troilus und Cressida durchaus nichts zu schaffen hat, den er daher weder bei Chaucer (seiner anerkannt ersten und vornehmsten Quelle), noch bei dessen Vorgängern und Nachfolgern vorfand, und dessen er auch für die eingeflochtene Darstellung der Kriegsereignisse und Kampfesscenen durchaus nicht bedurfte nicht nur herbeigezogen, sondern ihm, der offenbar nur den Clown des Stücks spielt, einen so grossen Raum im Ganzen zugewiesen hat. Man liebt es heutzutage, Alles

wo möglich mit Zahlen zu belegen und durch Rechenexempel zu beweisen. Ich habe mir daher die Mühe nicht verdriessen lassen, die Zeilen, welche nach der Globe Edition auf die Rolle des Thersites und die des Troilus fallen, zusammenzuzählen. Ist meine Rechnung richtig, so kommen auf Thersites' Part 288, auf Troilus' 415 Zeilen. Thersites' Antheil steigert sich aber noch erheblich durch den Umstand, dass er stets in Prosa, Troilus dagegen meist in Versen spricht, die Verse aber um 14 bis 13 weniger Raum einnehmen als die Prosastellen des Drucks. Thersites' Rolle ist also höchstens um 1 kleiner als die des Troilus, der durch den Titel des Stücks als der Held desselben bezeichnet ist.

Aber Shakespeare begnügte sich nicht, das Drama, obwohl der Stoff desselben nicht den geringsten Anlass dazu bot, mit der breit ausgeführten Rolle eines Clown zu beschenken, auch Pandarus, der ebenfalls eine verhältnissmässig grosse Rolle spielt, ist augenfällig eine durch und durch komische Figur. Dazu hat ihn Shakespeare erst gemacht. Weder bei Chaucer noch in einer der anderweitigen mittelalterlichen Quellen erscheint Pandarus als der lächerliche alte Narr, mit dem Helena und Paris, im Grunde auch Cressida ihren Spott treiben, der theils aus Liebhaberei, theils aus angeborner Lascivität das Kupplerhandwerk betreibt, es an seiner eigenen Nichte ausübt, und sich nur darüber beklagt, dass es ihm keinen besseren Lohn einträgt!

Noch bedeutsamer ist eine zweite durchgreifende Charakterumwandlung, eine zweite Abweichung von der mittelalterlichen Tradition (wie von der homerischen Darstellung und der antiken Auffassung), die Shakespeare hinsichtlich der Person des Ajax sich erlaubt hat. Ovid bezeichnet den Nebenbuhler des Achilles zwar einmal als hebes, ein andermal als rudis et sine pectore miles, der körperliche Kraft, aber keinen Geist besessen. Allein abgesehen von der Frage, ob Shakespeare Ovid's Metamorphosen so genau gekannt habe, dass er dieser einzelnen Stellen sich erinnerte, - bei Shakespeare ist Ajax nicht bloss hebes, nicht bloss rudis, sondern ein ungeschlachter, ebenso dummer wie aufgeblasener Tölpel. Ulysses nennt ihn einen Hohlkopf, Nestor einen Bullenbeisser, Achilles und Patroclus wie Agamemnon, Ulysses, Nestor, Menelaus, Diomedes treiben ihren Spott mit ihm, kurz er ist ebenfalls eine entschieden komische Figur, die dritte im Bunde mit Pandarus und Thersites. Die Episode von Hector's Herausforderung der griechischen Helden zu einem ritterlichen Kampfspiel erhält daher durch Ajax's lächerliches Gebahren (infolge der von Ulysses angezettelten Intrigue) ein durchaus

t

komisches Gepräge. Die ganze Episode aber ist Shakespeare's eigene Erfindung. Aus welchem Grunde hat er sie ersonnen und so breit ausgeführt? warum ist er hier wiederum von seinen Quellen abgewichen? warum setzt er den Ajax, den jene als berühmten Ritter schildern, so tief herab, dass Thersites ihn nicht mit Unrecht einen ,,ochsigen Bastard von einem Fürsten" nennt? - Hertzberg giebt keinen Grund an; und ich vermag kein anderes Motiv zu entdecken, als weil es ihm darauf ankam, dem ganzen Drama einen komischen Anstrich zu geben.

Daraus, meine ich, erklärt es sich auch allein, dass nicht nur in jeden Akt irgend eine komische Scene, sondern auch in fast jede Scene ein komisches Element, ein an's Lächerliche streifendes Motiv eingeflochten erscheint. Alle Scenen, in denen Thersites, Pandarus und Ajax einigermaassen hervortreten, erhalten schon dadurch eine komische Färbung. Aber auch die Berathung der griechischen Fürsten (A. I, Sc. 3) gewinnt einen komischen Beigeschmack durch die ganz unmotivirte Ausführlichkeit, mit welcher Ulysses die Possen schildert, die Achill und Patroclus in ihrem Zelt treiben. Oder weiss uns Hertzberg einen Grund anzugeben, warum der edle,,,besonnene, scharfsichtige" Ulysses halb und halb sich selbst zum Possenreisser herabsetzt, indem er Achill's und Patroclus',,läppische Witze" nicht, wie sie es verdienten, bloss obenhin und beiläufig erwähnt, sondern mit dramatischer Lebendigkeit darstellt? - Ganz in's Komische ferner fällt der Auftritt vor Achill's Zelte (A. II, Sc. 3), obwohl dabei Agamemnon, Ulysses, Nestor vorzugsweise mitwirken. Der Abschiedsscene zwischen Troilus und Cressida (A. IV, Sc. 4) benin nit Shakespeare den lyrischen Ernst und leidenschaftlichen Schwung, den Ausdruck rührenden Schmerzes nicht nur dadurch, dass er den Pandarus mitspielen lässt, sondern auch durch das Benehmen der Liebenden selbst, die in beständigen Fragen und Zweifeln, Versichern. und Betheuern ihrer Treue sich ergehen. Ja, ich bin überzeugt, dass Shakespeare, wiederum abweichend von seinen Quellen, nur darum Achill den Hector in so schmählicher, auch nach mittelalterlichen Begriffen höchst unritterlicher Weise tödten lässt, um dem Falle des trojanischen Helden das tragische Pathos abzustreifen, und dem Drama, das im Ganzen den Charakter eines Intriguenstückes trägt, zu einem entsprechenden Ende zu verhelfen.

Aller Zweifel aber, meine ich, muss vor einem unbefangenen Urtheil schwinden, wenn man den Schluss des Ganzen vom Standpunkt unsrer Frage in genauere Erwägung zieht. Wie ein Stück endet, ist ja vorzugsweise der Gesichtspunkt, nach welchem der

« AnteriorContinua »